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Nach einem morgendlichen Spaziergang durch Sion geht’s ab in die Höhe: Auf schmalen und aussichtsreichen Bergsträsschen bringen mich die Postautos erstmals über 2’000 Meter in die Höhe: Zum Sanetsch-Stausee nördlich von Sion.
14: Sion und der Sanetschpass
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
341 | Sion, Gare | St-German, Garage | Setra S313UL | 2006 | Transports Rive Droite | 0:35 | 15,0 |
344 | St-German, Garage | Sanetsch, Barrage | Mercedes-Benz Sprinter 516 CDI | 2013 | Transports Rive Droite | 1:15 | 28,5 |
344 | Sanetsch, Barrage | Chandolin, Belvedère | Mercedes-Benz Sprinter 515 CDI | 2008 | Transports Rive Droite | 1:00 | 26,0 |
341 | Chandolin, Belvedère | Sion, Gare | Setra S313UL | 2005 | Transports Rive Droite | 0:12 | 12,0 |
English Summary:
Having arrived in Sion, the capital of the Valais region, I naturally take a quick look around town first. While its older parts are pretty nice, the best views can definitely be had from its historic hilltop castle, Tourbillon, which I climb up to in the early morning.
Afterwards, I make use of one of Sion’s other attractions: The city also claims to feature Switzerland’s largest bus terminal, while the surrounding topography promises some pretty scenic routes. Oh and they are scenic indeed! I therefore depart on a few extra roundtrips from Sion, the first of which leads me on a 90 minute excursion up to the Sanetsch Dam and its associated artificial lake. The route consists of a bunch of very narrow streets and plenty of hairpin bends that lead me up to my highest elevation so far, Sanetsch Pass at 2242 metres above sea level. On the other side of the pass the route passes through some lovely alpine meadows and finally takes me to Sanetsch Lake where I take in the mesmerizing views. Isn’t it amazing where these PostBusses take you? Be sure to stay tuned for the next episode, when an even more breath-taking route awaits!
Nach einer Nacht im Betonbunker der Sittener Jugendherberge, verbracht in stetiger Angst, von einer der unter dem schlecht geputzten Heizkörper lauernden, grimmig dreinblickenden Spinnen aufgefressen zu werden, starte ich eher unausgeruht in den neuen Tag. Der Wecker klingelt jedoch trotz aller Strapazen früh, denn mein erstes Date weiss lichttechnisch nur am frühen Morgen zu überzeugen: es ist das Tourbillon. Wer dabei allerdings gleich an Fussball denkt, der liegt genauso falsch wie ich erst: Tourbillon heisst zwar auch das Heimstadion des FC Sion, heute geht es aber um die mittelalterliche Burgruine, die wenig daneben auf einem schroffen Felsen thront.
Durch die noch schattigen und angenehm kühlen Altstadtgässchen marschiere ich langsam bergaufwärts, bis ich schliesslich die Wohnhäuser hinter mir lasse und den Burgfelsen erklimme. Wie erhofft, geniesse ich von hier oben eine prächtige Aussicht: Die Morgensonne sendet ihre ersten wärmenden Strahlen ins Rhonetal und leuchtet das Panorama perfekt aus: links von mir, auf einem zweiten Hügel, sonnt sich die Basilique de Valère – eine romanische Wallfahrtskirche keltischen Ursprungs, deren Name der Mutter eines römischen Stradtpräfekten huldigt. Offenbar beherbergt sie auch eine der ältesten Orgeln der Welt. Aber einerseits habe ich das erst im Nachhinein gelesen, und andererseits reicht ein Hügel als Frühsport also wirklich aus und ein zweiter muss nicht auch noch sein.
So lasse ich die Orgel Orgel sein – wenn sie schon beinahe 600 Jahre überlebt hat, wird sie das auch noch ein paar Jährchen mehr tun – und verziehe mich zurück in die langsam erwachende Altstadt. Die ist durchaus nett, auch wenn wirklich historisch anmutende Wohn- und Geschäftshäuser nur noch selten erblickt werden können. Zudem präsentieren sich die herzig verwinkelten Gässchen zu dieser Uhrzeit noch im Schatten der dicht aneinander gereihten Bürgerhäuser, was das Fotografieren zusätzlich erschwert. Immerhin wähnt man sich auf der Flaniermeile mit ihren Arkaden und Terrassen schon fast etwas im Süden – kein Wunder, gilt Sion doch als eine der wärmsten und trockensten Städte der Schweiz. Zusammen mit Chur duelliert sie sich auch um den Titel als älteste Stadt der Schweiz, war sie doch schon weit vor Geburt Christi der Hauptort des keltischen Volks der Seduner – deren Name bis in die heutige Stadtbezeichnung fortlebt.
Übrigens kämpft Sion auch noch auf anderer Ebene gegen Chur: beide haben riesige Busbahnhöfe, und Sion soll gar über den grössten der Schweiz verfügen. Perfekt für mein Unterfangen! Hier gibt es nämlich mannigfaltige Möglichkeiten, meine Tour um ein paar Extrarunden in den Sittener Postautos zu erweitern. Zwar bringen diese keinen echten Fortschritt auf meiner Reise, lande ich doch nach einer Anzahl von irgendwo zwischen dutzend und hundert Haarnadelkurven immer wieder beim Bahnhof Sion. Sie eröffnen aber doch zahlreiche neue Perspektiven und bieten wunderbaren Fahrspass auf äusserst abwechslungsreichen Strecken. Diesem Strauss an guten Argumenten kann ich natürlich nicht lange widerstehen, und ehe ich mich versehe, sitze ich schon im ersten Postauto.
Als erstes habe ich mir gleich eine veritable Mammut-Aufgabe ausgesucht, denn ich will hoch hinaus. 32 Kilometer sind es von Sion über den Sanetsch-Pass zum gleichnamigen Stausee – das geht ja eigentlich noch, ist aber für eine steile Bergstrecke doch eine ganz schöne Menge. 1700 Höhenmeter werden dabei erklommen, was Postauto und Fahrer alles abverlangt und mich ein erstes Mal auf meiner Tour auf über 2’000 Meter Höhe katapultiert. Über anderthalb Stunden dauert der ganze Spass – pro Richtung, wohlgemerkt. Also rein ins Vergnügen!
Am Bahnhof Sion steht in den Morgenstunden schon ein Setra S313UL bereit, welcher bereits von aufgeregt-energetisch drängelnden Wandervögeln bestürmt wird. Kaum sind alle Berggänger an Bord, die prall bepackten Rucksäcke und die sperrigen Nordic-Walking-Stöcke irgendwo verstaut, wird der Motor gestartet und die abenteuerliche Fahrt kann losgehen.
Nach dem Start am Bahnhof von Sion erklimmt der Bus flugs die ersten dreihundert Höhenmeter zur Vorortsgemeinde Savièse, welche auf der Nordseite des Rhonetals hoch über Sion thront. Savièse ist auch die Heimat der Postauto-Gesellschaft Transports Rive Droite, die aus dem Zusammenschluss zweier früherer Postauto-Unternehmer hervorgegangen ist. Einer von ihnen, Norbert Dubuis, begann schon im Jahr 1932 die damalige 2’000-Einwohner-Gemeinde an Sion und die Fabriken von Chippis anzubinden, was auch der Popularität Savièses zuträglich war: heute wohnen dort über 7’000 Personen.
Im Savièser Gemeindeteil Chandolin steht bereits ein zweites Postauto bereit, und wartet auf uns. Das ist eigentlich nicht so geplant, der Kurs würde natürlich ab Sion direkt zum Sanetsch-Stausee hochführen. Doch auf der ohnehin schon schmalen Strasse befindet sich derzeit eine grottenschlecht platzierte Baustelle, die in einer engen Kurve einige wertvolle Zentimeter Wendekreis für sich beansprucht, und so grösseren Busmodellen die Durchfahrt versperrt. Ergo: es muss auf einen Kleinbus umgestiegen werden, einen Mercedes Sprinter. Der Fahrer des ersten Busses schnappt sich flink seine persönliche Kasse und sein Namensschild, um dann mit Sack und Pack in das neue Vehikel zu wechseln, welches uns bis an den Stausee bringen soll.
Immerhin, auch wenn im flinken kleinen Mercedes Sprinter nicht so ganz richtiges Bus-Feeling aufkommen will, Strecke und Szenerie wissen trotzdem zu begeistern. Von Chandolin schmiegen wir uns der Flanke eines Seitentales entlang, während wir langsam an Höhe gewinnen. Bei der furchteinflössend benannten Teufelsbrücke überqueren wir schliesslich den reissenden Bergbach La Morge, welcher dieses Tal ausgefurcht hat, und erklimmen danach weitere Höhenmeter.
Ein paar verstreute Häuschen kommen in Sicht – alles Alpsiedlungen, wie mein Fahrer zu erzählen weiss. Jede von ihnen besitzt irgendwo entlang der Strecke einen grossen Briefkasten, in welchen der Postauto-Chauffeur während der Durchfahrt Magazine und Briefpost einwirft – wie in den guten alten Zeiten eben. Meistens muss er dazu noch nicht einmal aussteigen. Denn wenn er auf seiner Bergfahrt ab und zu das Posthorn betätige, wüssten die Einwohner, dass er im Anflug sei, und diejenigen, welche Korrespondenz erwarteten, würden kurz an die Hauptstrasse hinunterkommen um diese direkt in Empfang zu nehmen. Ein tolles System – welches momentan leider nur daran scheitert, dass der Aushilfs-Kleinbus gar kein Posthorn besitzt.
Nachdem wir uns lange genug in den Wäldern des Seitentals aufgehalten haben, steigt die Strecke nach dem Hotel Zanfleuron steil an, während die Vegetation dankenswerterweise immer spärlicher wird – es beginnt so etwas wie der 30 Minuten dauernde, besonders aussichtsreiche Schlussspurt . Einem steilen Bergrücken entlang geht es in einer regelrechten Batterie enger Haarnadeln in den Himmel empor – für den wendigen Minibus nicht so ein Problem, aber zu gerne hätte ich das grosse und schwere Postauto hier hinaufkeuchen gesehen! Auch der Fahrer findet, dass die Route im Minibus ziemlich langweilig sei. Zum einen fehle die fahrerische Herausforderung, und zum anderen müsse er extra langsam fahren, um nicht dem auf einen mühevoll den Berg hochhechelnden Grossbus ausgelegten Fahrplan davonzugaloppieren.
Irgendwann ermöglichen dann auch die dichtesten Haarnadeln kein Weiterkommen mehr. Um eine am Ende des Bergrückens liegende Geröllhalde zu durchqueren, sind einige schmale, direkt in den Stein gehauene Tunnels von Nöten. Deren Durchfahrt ist ein spezielles Ereignis, auch wenn der Minibus die unverkleideten Natursteinröhren etwas zu wenig ausfüllt.
Am Ausgang der Tunnels – mittlerweile auf 2‘000 Metern Höhe angelangt, jepee! – empfängt uns ein eher karges Bergweidegebiet, welches laut Aussagen meines Fahrers von zwei Alphirten bewirtschaftet wird. Die schmale Strasse steigt weiterhin steil an und führt uns so schliesslich empor zum Col du Sanetsch auf 2‘250 Metern über Meer – die bisher grösste erreichte Höhe auf meiner Tour!
Sieben Grad misst das Thermometer hier oben noch, unten in Sion waren es 20 gewesen. Die Jacke im letzten Moment doch noch einzupacken, war eine weise Entscheidung!
Doch auf dem Col ist die Route noch immer nicht zu Ende. Von hier schlängelt sich das Strässchen durch saftiges Grün, an zahlreichen Bergbächen vorbei hinunter zu einem Stausee, dem Lac du Sanetsch. Eingebettet zwischen den Gipfeln der Diablerets im Westen und der Wildhorn-Gruppe im Osten entspringt hier die Saane, und wird sogleich zur Energiegewinnung gestaut. Der Staumauer verdankt man auch die Strasse hier hoch, wurde sie doch in den 1960er-Jahren für deren Erbauung errichtet.
Die letzten Meter der Erschliessungsstrasse führen uns dem Ufer des Sanetsch-Stausees oder Lac de Sénin entlang, wo gemäss Schilderungen meines Fahrers oft auch Murmeltiere beobachtet werden können (nur genau heute zeigen sich natürlich keine der vorwitzigen Nager). Am entfernten Ende des Sees, gleich neben der Staumauer liegt die Endhaltestelle dieses Marathon-Kurses, an welcher der kleine Mercedes Sprinter zum Stehen kommt und unter dem monströsen Bergpanorama um ihn herum gleich noch viel winziger wirkt. Hier ist auch die Strasse zu Ende.
Wer den Sanetschpass komplett überqueren will, müsste von hier aus zu Fuss weitergehen, bzw. mit der kleinen Militärseilbahn Vorlieb nehmen, welche hinunter nach Gsteig in der Nähe von Gstaad und Saanen im Berner Oberland führt. Oder man bleibt gleich hier oben, und lässt sich vom urchigen Wirt des Hotel/Restaurants Auberge du Sanetsch beeindrucken, der in dieser unwirklichen Umgebung doch tatsächlich mit einer mit 12 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten Küche überrascht.
So oder so, bis das nächste Postauto hier oben aufkreuzt, soll es später Nachmittag werden. Mein Chauffeur fährt den Minibus derweil aber nicht etwa zurück nach Sion, denn Passagiere wären zu dieser frühen Uhrzeit keine zu erwarten. Stattdessen steuert er eine Baracke neben der Passhöhe an, wo der Fahrer seinen Bus abstellt und irgendwie die 8 Stunden herumkriegen muss, bis er dann die heimkehrenden Wanderer wieder an der Staumauer auflesen und zurück in Richtung Sion bringen darf. “Ganz schön langweilig, nicht?”, meine ich zum ihm. “Ja schon; besonders wenn man, wie ich, den Bergen nicht viel abgewinnen kann. Andere Fahrer reissen sich richtig um diese Strecke”. Früher, so erzählt er mir weiter, hätten die Chauffeure jeweils wochenweise mit ihrer ganzen Familie hier oben gewohnt, und hätten zwei Fahrten ins Tal und zurück pro Tag unternommen. Aber mit den heutigen Spritkosten rentiere das schon lange nicht mehr. Geblieben aus dieser Zeit sei einzig die kleine Hütte, die ein ehemaliger Fahrer gebaut habe, und welche den Postauto-Chauffeuren hier oben bis heute Schutz vor Wind und Wetter bietet.
So, und während ich warte, bis um genau 17:24 Uhr wieder ein gelber Minibus neben der Staumauer vorfährt, entlasse ich euch mit einem letzten Bild dieser sagenhaften Strecke. Und im nächsten Blog-Eintrag wartet dann bereits die nächste atemberaubende Postauto-Route!
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