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Vom Neuenburgersee an den Genfersee: Nach einem Spaziergang durch die Bäderstadt Yverdon entführt mich das Postauto in die ländlichen Gebiete des Kantons Waadt, wo kleine Bauerndörfer, staubige Schotterpisten und charmante Städtchen warten. Schliesslich erreiche ich Lausanne, die viertgrösste Metropole der Schweiz.
10: Yverdon – Moudon – Lausanne
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
660 | Yverdon, Gare | Moudon, Gare | MAN NÜ313 / A20 Lion’s City Ü | 2002 | Regie | 0:59 | 30,4 |
440 | Moudon, Gare | Villars-Tiercelin, Village | Mercedes-Benz O530 Ü Citaro | 2005 | Regie | 0:22 | 13,6 |
435 | Villars-Tiercelin, Village | Épalinges, Croisettes | Mercedes-Benz O530 LE Ü Citaro | 2008 | Regie | 0:16 | 11,7 |
– | Épalinges, Croisettes | Lausanne, Valmont | Zu Fuss | – | – | 0:17 | 1,3 |
English Summary:
Time to bid Lake Neuchâtel farewell and head south to another major landmark, Lake Geneva. One single PostBus route covers the lion’s share of that journey by taking me all accross the Broye plains from Yverdon to Moudon. The drive is scheduled to take exactly one hour, roughly twice the driving time by car. And I soon discover why: We break off from the main road all the time to plow some narrow streets into quaint little farm towns. This is taken to extremes when roadwork forces us onto a steep gravel road that snakes its way through a crop field. Yay, definitely appreciated the extra load of driving fun!
Arriving in Moudon, I seek to take some postcard photos of its historic hillside quarters, which proves to be harder than expected, both for the lack of accessible viewpoints and the dominance of private roads with ‘no trespassing’ signs. From Moudon, the journey continues rather uneventfully to the city of Lausanne, including a half hour layover in the hamlet of Villars-Tiercelin – where it’s so quiet that I’m truly concerned the whole population has fallen victim to a recent alien attack.
Eventually, we pull into Lausanne, Switzerland’s fourth-largest city. Thanks to its abundance of important international institutions like the seat of the International Olympic Comittee or the Court of Arbitration for Sport, Lausanne radiates a very cosmopolitan air while its charming and lively old town evokes a lot of southern flair.
Die letzte Etappe hat mich durchs hügelige Neuenburger Hinterland ans Südende des Neuenburgersees gebracht, wo ich schliesslich in der Bäderstadt Yverdon eintraf. Eine Stunde bleibt mir nun vor der Abfahrt meines nächsten Postautos, um einen Eindruck von Yverdon zu gewinnen. Also schreite ich vom Busbahnhof über den grosszügigen Bahnhofsvorplatz in die Altstadt hinein. Aus drei mehr oder weniger historischen Gässchen in Ost-West-Ausrichtung besteht diese, im Osten kommen sie alle am respektablen Pestalozzi-Platz zusammen. Hier herrschte bereits reges Markttreiben, als Yverdon noch eine zentrale Handelsstadt der Burgunder und später der Savoyen war: Die Stadt lag auf der wichtigen Achse vom Genfersee in Richtung Neuenburg und Jura, und wickelte zudem den Schiffsverkehr über den Neuenburgersee und den Fluss Thielle ab.
Im Jahr 1475 musste Yverdon allerdings vor einer neuen Kraft kapitulieren: den Schweizern. Bern übernahm das Zepter und trieb die Entwicklung des Ortes weiter voran, bis dieser zur zweitwichtigsten Stadt im Waadtland avanciert war. Doch auch international wurde Yverdon bekannt: die europäische Elite kam hierher, um sich im schwefelhaltigen Wasser gesundzubaden – Künstler, Wissenschaftler und Philosophen schätzten zudem die Offenheit der Menschen. So ist auch erklärbar, wieso Yverdon gar über eine direkte Schifffahrtslinie nach London verfügte – wie auch immer diese Reise bewerkstelligt worden sein soll, so ganz erschliesst sich mir das noch nicht. Schifffahrt war in Yverdon sowieso lange ein zentrales Thema: In etlichen Versuchen wollte man von hier eine Wasserstrasse bis zum Genfersee ziehen, um so die Verbindung von Rhein und Rhone, ja gar von Nordsee und Mittelmeer zu schaffen. Zwar brachte man ein schmales Kanälchen gar zustande, dieses war aber so steil und schwierig zu beschiffen, dass die Pläne schliesslich aufgegeben werden mussten. Doch noch heute durchfliessen ganze fünf Kanäle die Stadt, als stille Zeugen dieser von latentem Grössenwahn geprägten Zeit.







Am Bahnhof von Yverdon wartet mit dem Kurs Nr. 660 wieder einmal eine äusserst lange Postauto-Fahrt auf mich: einmal quer durch die Broye bis nach Moudon. Das wäre laut Routenplaner eigentlich in etwa 30 Minuten zu bewältigen. Weshalb das Postauto dennoch genau eine Stunde für die 30 Kilometer lange Strecke braucht, sollte ich bald genug noch realisieren. Zum Einsatz kommt ein nicht mehr ganz taufrischer MAN Lion’s City in Überland-Ausführung (wer einen Wiederspruch findet, ist nicht allein…), welcher bereits seit dem Jahr 2002 auf den Strassen unterwegs ist – und damit bisher zu den ältesten Bussen in meinem Logbuch zählt.

Schnell lassen wir Yverdon zurück, während wir seine östlichen Hügelzüge erklimmen. Kaum haben wir etwas Fahrt aufgenommen, zweigen wir von der Hauptstrasse ab und steuern die erste Bauernsiedlung an. Wenige hundert Meter später folgt die zweite, kurz später die dritte, und so geht das die ganze Fahrt über im Fünf-Minuten-Takt weiter. Aaaaha, hier also knabbert die Zeit an unserem Fahrplan herum. Das stört mich allerdings überhaupt nicht! Diese Gegend präsentiert sich nämlich viel hügeliger als von mir erwartet, und entsprechend wartet hinter jeder Kurve ein noch schönerer Ausblick als Sekunden zuvor.

Unsere Fahrt durch die hinterste und letzte Provinz bringt es zwangsläufig auch mit sich, dass an Strasse irgendwann nicht mehr viel übrig ist: Die Hauptstrassen haben wir längst hinter uns gelassen, Nebensträsschen ohne Mittelstreifen sind die neue Norm, und oft sind sie auch so schmal, dass das Postauto nur noch mit Müh und Not draufpasst. Die Krönung folgt allerdings, als der Fahrer auf eben einer solchen Nebenstrasse unverhofft den Blinker setzt und seinen über zehn Tonnen schweren MAN-Koloss auf eine steil abschüssige Kiesstrasse bugsiert. Nun wird’s richtig lustig! In holpriger Fahrt rattern wir über die behelfsmässige Piste, der Bus ächzt und stöhnt und der Fahrer ist hochkonzentriert, um sein Gefährt auf dem rutschigen Untergrund in der schmalen Spur zu halten. Eine lange Staubwolke hinter uns herschleppend, tasten wir uns den Abhang hinab. Was für ein Erlebnis!
Zu verdanken habe ich diese virtuose Zurschaustellung der Geländegängigkeit meines Postautos allerdings nicht einem besonders sträflich von der Zivilisation vernachlässigten Bauernnest, sondern der mehrmonatigen Sperrung der Hauptstrasse, während welcher extra für die gelben Busse diese Abkürzung geöffnet wurde – der Individualverkehr muss eine weiträumige Umfahrung in Kauf nehmen. Doch damit nicht genug: Der Zufall will es, dass sich genau an dieser unzugänglichen Stelle auch noch mehrere Postauto-Kurse kreuzen. Wie löst man das Problem? Man errichtet zwei Haltebuchten, bepflanzt sie mit Tafeln mit den Nummern 1 bzw. 2, und die Fahrer sprechen über Funk ab, wer bei welcher Zahl auf wen wartet. Ja, langweilig wird es so definitiv nicht! Und so kann ich nicht widerstehen, und muss mir das Spektakel etwas später auch noch von aussen ansehen 🙂




Der Rest der Strecke ist dann nicht mehr so anspruchsvoll, aber deswegen nicht minder schön als zuvor. Nach einer grossen Umsteige-Prozedur im Städtchen Thierrens (vier Busse aus allen Himmelsrichtungen treffen sich hier und tauschen ihre Fahrgäste aus – ein richtiger Pampa-Hub!) fährt mein Postauto weiter ostwärts nach Moudon, und langsam aber sicher lässt sich das kantige Grau am Horizont nicht mehr wegdiskutieren: Hurrraaaa, die Alpen kommen in Sicht!

Langweilig wird es auch am Zielort Mudon nicht. Das Städtchen hatte ich ja gar nicht gekannt, stiess aber bei meinen Recherchen auf seine charmanten Vorzüge und wollte es darum unbedingt genauer kennenlernen. Offenbar war das damalige Minnodunos schon bei den Kelten und den Römern ein wichtiger Rastort an mehreren bedeutenden Fernwegen. Später wurde das Städtchen dann wohl vom Grafen von Genf aufgebaut und erlebte unter den Savoyern als wichtiger Stützpunkt und Vogtei seine Blüte. Hinterlassen haben die historischen Herren eine auf einem Hügel thronende mittelalterliche Oberstadt, deren Postkarten-Ansicht sofort mein Interesse weckte.
Dieses Motiv will ich auch haben, und baue mir dafür eine Stunde Pause in meinen Reiseplan ein. So einfach soll die Sache aber nicht werden, denn der Ort präsentiert sich derart verschachtelt, terrassiert und mit Privatwegen durchsetzt, dass ich den Grossteil meiner Zeit dafür benötige, überhaupt erst den Weg zu einem geeigneten Fotopunkt zu finden. Als ich den perfekten Ort im Blick habe und mich kurz vor dem Ziel wähne, die Ernüchterung: Genau dort, wo ich eigentlich durchgehen wollte, hat ein fieser Bauer den Wanderweg über 100 Meter zur Privatstrasse erklärt – das zwingt mir einen Umweg von 20 Minuten auf. Argh! Aber immerhin ist so die Genugtuung grösser, als ich das Bild dann doch noch auf den Chip meiner Kamera bannen kann!

So bleibt mir zum Rest von Moudon leider nicht viel zu sagen, denn für einen wirklichen Bummel durch die Altstadt fehlt mir wegen des blöden Bauern ja nun leider die Zeit. Die wuchtige Steinkirche jedoch macht einen sehenswerten Eindruck!




Zurück am Bahnhof wartet Kurs 440 auf mich, der nach Echallens führt. Zuerst kommen wir aber minutenlang nicht vom Fleck, da wir einen verspäteten Vorortszug abwarten müssen – es hätte ja Passagiere für unseren Bus geben können (allerdings bleibt es beim Konjunktiv, wie der Fahrer und ich etwa gleichermassen enttäuscht feststellen müssen, nachdem der vermaledeite Zug 9 Minuten hinter dem Fahrplan doch noch eingetrudelt ist). Ansonsten gleicht die Szenerie ziemlich derjenigen der letzten Fahrt: Wiederum schwingen wir uns von einem Hügelzug zum nächsten, verbleiben diesmal aber im Unterschied zu vorhin stets auf der Hauptstrasse.
Nach 20 Minuten kommt das 400-Seelen-Dorf Villars-Tiercelin in Sicht. Zeit für mich, auszusteigen. Warum, wieso, weshalb gerade hier? Na, weil sich hier aus unerfindlichen Gründen zwei Postautolinien kreuzen und ich mich so weiter in Richtung Genfersee hangeln kann. Ich habe hier also eine halbe Stunde totzuschlagen, ehe mich der letzte Bus des Tages aufgabeln würde. Von den von Wikipedia im Dorfkern verorteten “stattlichen Bauernhäusern” sehe ich leider nicht viel, moderne Wohnbauten dominieren das Bild. Wenigstens die Kirche, die in ihren Grundmauern auf das 13. Jahrhundert zurückgeht, ist noch einigermassen nett. Nett ist ausserdem die geballte Stille: Kein Mucks ist zu hören, keine Kuhglocken, keine bellenden Hunde, und schon gar keine spielenden Kinder. Eine echt perfekte Ruhe-Oase!
Pünktlich um 18.55 Uhr wird die Ruhe allerdings erwartungsgemäss kurz gestört: Ein gelber Citaro-Bus passiert die verkehrsbe – eben! – ruhigende Schikane am Dorfeingang und gabelt mich hier auf. Zum Glück, denn es ist der letzte Kurs des Tages – andernfalls hätte ich hier mit Fuchs und Hase Gute Nacht sagen müssen, wobei mir dank der drückenden Stelle ja wenigstens das Einschlafen keine Mühe bereitet hätte.
Viel ereignisreicher als Villars-Tiercelin ist aber auch die Fahrt nicht. Lausanne ist das Ziel, und beinahe der gesamte Weg dorthin führt durch einen kaum je unterbrochenen Wald. Der Sohn des Fahrers hat mir zudem den Sitz mit der besten Aussicht weggenommen, nur um direkt neben seinem Papa sitzen zu können – was in meinen Augen ja fast einem Kapitalverbrechen gleichkommt :-). So muss ich aus der zweiten Reihe fotografieren, aber viel verpasse ich eh nicht. Das einzig halbwegs notierbare ist die Abzweigung in den witzig benamsten Ort Froideville, wobei ich mich nicht herauszufinden bemüht habe, ob dort Väterchen Frost seine Sommerresidenz hat, oder es vielmehr die Heimat mehrerer Tiefkühlpizza-Konzerne ist.

Erst kurz vor Ende der Route spuckt uns der Wald aus und übergibt uns direkt an die Agglomeration Lausannes. Zu weit ins Stadtgebiet hinein traut sich der gelbe Aussenseiter allerdings nicht: Bereits in der erhöht gelegenen Vorortsgemeinde Épalinges ist fürs Postauto Schluss, bequemerweise gleich bei der gleichnamigen Endstation der Lausanner U-Bahn. Nur dass mir diese natürlich nichts bringt, denn so selten eine U-Bahn in der Schweiz auch vorkommen mag (Lausanne besitzt noch immer die einzige), auch sie rangiert auf meiner langen Liste der für diese Reise verbotenen Transportmittel. Aber kein Problem; die nächste Postauto-Strecke soll nur zwei Metro-Stationen weiter starten – eine Distanz, die ich gerade noch so zu gehen imstande bin. 15 Minuten den Berg runter, ein paar hohe Wohnsilos umkurvt, und schon bin ich da.
Bevor es in der nächsten Etappe dann ab Lausanne weitergeht, nehme ich mir zum Ende dieses Blog-Eintrags noch eine gute Stunde Zeit, um zumindest einen Eindruck der viertgrössten Stadt der Schweiz zu gewinnen (dass die Stadt Lausanne im Grössenvergleich vor Bern rangiert, hätte ich ihr auch nie zugetraut!). Aufgrund ihrer Terrassenbauweise am Nordufer des Genfersees bringt einem Lausanne ganz schön ausser Atem, zudem sorgen weitläufige Brücken und Überführungen für eine zusätzliche Vielschichtigkeit, die sogar ein Zürcher Stadtkind für einen Moment zu verwirren vermag. Hat man sich aber erst einmal zurechtgefunden, präsentiert sich insbesondere die Altstadt sehr charmant, lebendig und mit mehr als einem Hauch südländischem Flair. Gut, der vom Hauptplatz ausgehende und sich über viele Altstadtgässchen erstreckende Markt hilft dabei auch.


Die weiteren Attraktionen der Stadt (und derer gäbe es viele), die sich vor allem Sport und Kultur auf die Fahne geschrieben hat, kann ich leider nicht mehr würdigen – seien es die unzähligen Museen zu allen möglichen und unmöglichen Themen, reichend von einem über General Guisan bis hin zum Schreibmaschinen-Huldigungs-Tempel. Auch die anderen hier beheimateten Institutionen mit grosser teils internationaler Strahlkraft muss ich leider links liegen lassen: das Schweizer Bundesgericht, den internationalen Sportgerichtshof oder den Hauptsitz des Internationalen Olympischen Komitees zum Beispiel. Sie alle lassen Lausanne zu einem grösseren Player werden, als es das mit seinen 133‘000 Einwohnern eigentlich ist. Oder wie der Lonely Planet es gewohnt flapsig ausdrückt: „Lausanne is a dynamic little city punching well above its weight.“


2 Responses
Peter Hirschler
Hi, vielen Dank für die wunderschönen Bilder und Eindrücke deiner Reise, vor allem die Bilder der Postautos auf der Schotterstraße in dieser Etappe sind sehr sehenswert. DANKE
Tis
Vielen herzlichen Dank für den lieben Kommentar! Ja, diese Fotos auf der Schotterstrasse gefallen mir aufgrund ihres speziellen Charakters auch besonders gut 🙂