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Heute gibt’s gleich einige Sehenswürdigkeiten von Weltruhm zu bestaunen: Die Fahrt führt an der prächtigen Kirche von Zillis vorbei, durch die furchteinflössende Viamala-Schlucht und schliesslich auf einer engen Schotterpiste ins Bergdorf Obermutten – auch dieses ist weltberühmt. Wieso? Finde es heraus!
36: Zillis – Via Mala – Thusis – Obermutten – Savognin
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
541 | Zillis, Posta | Thusis, Bahnhof | Setra S415H | 2014 | TPM, Mesocco | 0:16 | 8,0 |
521 | Thusis, Bahnhof | Obermutten | Mercedes-Benz Sprinter 515 CDI | – | Regie | 0:44 | 19,4 |
521 | Obermutten | Vaz/Obervaz, Solis | Mercedes-Benz Sprinter 515 CDI | – | Regie | 0:26 | 7,0 |
– | Vaz/Obervaz, Solis | Stierva | Zu Fuss | – | – | 0:44 | 4,0 |
581 | Stierva | Savognin, Posta | Volvo 8700 | 2005 | Reptrans, Salouf | 0:37 | 16,0 |
English Summary:
Today’s tour offers a wealth of breath-taking scenery as well as a few world-renowned highlights. The first of these graces my starting point, the small village of Zillis. I’m talking about the little church of St. Martin, which is famous for its 12th century ceiling that consists of 153 intricately painted wooden panels.
Only minutes after leaving Zillis, the next marvellous sight awaits: The Via Mala gorge, a 300 meter deep ravine framed by imposing cliffs on both sides. No wonder this wild and threatening canyon, which for centuries obstructed the popular ancient trading routes between north and south, was originally known as the “Bad Path” or Via Mala in the local language. Today however, thanks to some engineering ingenuity, the Via Mala has lost its scariness and is easily passed on a scenic road – also by the yellow Post Busses of course!
After completing the journey through the gorge I quickly change busses in the village of Thusis, ready to start the next adventure. And sure enough, the next route doesn’t disappoint either: After a few minutes the tiny Mercedes minibus leaves the main road and enters a seemingly endless set of steep hairpin bends, leading to the alpine hamlet of Mutten. Best of all: During the last 15 minutes the road narrows down to little more than an exposed gravel path, which curves its way through unspoilt nature and makes for a unique ride that is nerve-wrackingly thrilling and tooth-achingly beautiful at the same time.
At the route’s terminus in Obermutten I take in the fantastic panoramic views and quickly find out that the little hamlet is yet another world-famous place. In a viral online marketing stunt, Obermutten recently gained 40’000 Facebook fans from all over the planet, all of whom it proudly displays on its wooden “Facebook Wall” in the middle of town. What an achievement!
To end the day, a brief walk and another pretty scenic drive in a trusty old Volvo bus take me onwards on my journey, until I rejoin the valley floor in the town of Savognin.
Nach meinen Fahrten an der Flanke des Schamserbergs bin ich im Dörfchen Zillis gelandet, wo ich mich vor der Weiterfahrt zuerst etwas umsehe. Die grösste Attraktion ist sein kleines Kirchlein St. Martin – ja das recht überschaubare Gotteshaus aus dem 12. Jahrhundert ist gar weltbekannt! Es beherbergt die älteste bemalte Felderdecke Europas. In der Zeit zwischen den Jahren 1109 und 1114 wurden auf 153 quadratischen Bildtafeln, welche die Decke zieren, verschiedene Stationen aus dem Leben Christi aufgemalt. Diese sind bis heute hervorragend erhalten geblieben und daher wirklich eine Augenweide!
Mit Augenweiden geht’s auch wenige Minuten später wieder weiter. Ein moderner Setra S415H holt mich ab, und der Bus ist schon recht weit gereist: Er gehört zum Fuhrpark des Betriebs Trasporti Pubblici Moesano aus Mesocco ennet dem San Bernardino-Pass. Ein netter Abschiedsgruss aus der italienischen Sprachregion, grazie mille! Der Bus nimmt mich mit in Richtung seiner Endstation Thusis, doch das ist nicht die erwähnte Augenweide – diese steht nämlich bereits einige Kilometer vorher an: Kurz hinter Zillis verengt sich das Tal zusehends, und während die Autobahn in diverse Tunnels abtaucht, führt einem das Postauto (sofern man nicht einen Expresskurs nach Chur erwischt hat, der auf der Autobahn durchbraust) auf der Kantonsstrasse direkt in eines der grösseren Naturwunder der Schweiz. Links und rechts ragen plötzlich steile, schroffe Felswände in die Höhe, wir tauchen ein in einen düsteren, schattigen Kanal: Die Viamala-Schlucht.
Den Namen «schlechter Weg» trägt die Via Mala nicht von ungefähr: über Jahrhunderte behinderte diese schwer zugängliche Engstelle die Erschaffung einer Strasse von Chur gegen die Pässe Splügen und San Bernardino. Zwar wurde die acht Kilometer lange Schlucht bereits von den Römern bezwungen, auch lokale Säumer schlugen 1473 einen Weg aus dem Fels, und der Davoser Baumeister Christian Wildener erschuf zwei Brücken, um die besonders gefährlichen Stellen besser queren zu können – eine davon steht noch heute.
Dennoch forderte die Viamala immer wieder ihren Tribut, trieb Baumeister, Händler und Reisende zur Verzweiflung, und oft auch in den Tod. Auch den Hungertod der Bündner Bevölkerung führte sie fast herbei: Zwar hatte der Staat während der Bündner Hungersnot 1816 Nahrungsmittelvorräte südlich der Alpen aufgekauft – doch diese verfaulten dort, weil die Transportkapazitäten über die Pässe und durch die Viamala nicht ausreichten. Erst dieses Erlebnis motivierte dann 1821 zum Bau einer ersten Fahrstrasse durch die Schlucht. Zwar wurde diese bereits 1834 wieder von einem Unwetter zerstört, doch die in den Folgejahren erbaute, verbesserte Variante, dient bis heute als wichtiger Verkehrsträger – auch für die zahlreichen Postautos, welche die Schlucht täglich durchfahren. Diese bedienen auch das moderne Besucherzentrum mitten in der Schlucht, welche es Interessierten erlaubt, dem Mythos Via Mala auf gut präparierten Pfaden – sprichwörtlich – auf den Grund zu gehen.
Gleich, als sich die Topographie wieder öffnet, erreichen wir Thusis – ein weiteres regionales Zentrum, das seinen Aufschwung ebenfalls seiner Lage an zahlreichen wichtigen Verkehrswegen verdankt, und der Nähe zur Via Mala natürlich. Bereits im Mittelalter staute sich vor diesem natürlichen Hindernis der Verkehr (die Autobahn A13 führt diese Tradition nur allzu enthusiastisch fort), weshalb Thusis mit zahlreichen Einkaufs- und Übernachtungsmöglichkeiten sowie 400 Stallungen aufwartete. Wie gross seine Bedeutung war, zeigte sich, als es Thusis schlecht ging: Nachdem im Jahre 1845 ein grosser Brand wütete, kamen die Gelder zum Wiederaufbau nicht nur aus Chur oder Zürich, sondern gar aus Städten wie Mailand, Venedig, Hamburg oder Ravensburg. Fast schon eine Ortschaft mit Weltruhm!
Für viel Weltruhm habe ich allerdings keine Zeit, auch mein nächstes Verkehrsmittel trägt eher das Prädikat ‘Lokalkolorit’. Ein kleiner Mercedes-Benz Sprinter 515CDI wartet am Bahnhof Thusis, bereit für das nächste Abenteuer. Wenig abenteuerlich sind die ersten zehn Minuten: Wir brausen, sportlich wie sich das für einen Kleinbus gehört – oder immerhin fühlt es sich nach all den Fahrten in den behäbigen 12-Meter-Vehikeln so an – auf der Hauptstrasse in Richtung Tiefencastel. In Windeseile huschen zwei Zeitzeugen vorbei, die mittelalterliche Kirche St. Cassian von Sils im Domleschg, gefolgt von der Ruine der Höhenburg Campell aus dem 12. oder 13. Jahrhundert.
Dann, plötzlich, verlangsamen wir mitten auf der 80er-Strecke die Fahrt, spuren rechts ein, zweigen prompt nach rechts ab, nehmen noch zwei Fahrgäste auf, und dann geht’s nur noch aufwärts. Eine weit angelegte Haarnadelstrecke hilft uns, die Topographie zu erklimmen. Bei Haarnadel Nr. 4 passieren wir rasch eine kleine Streusiedlung mit einer beachtenswerten Kirche, schon geht die Reise über Weiden und durch Wälder weiter.
Nach Haarnadel Nr. 8 ist die Serpentinenparty unerwartet zu Ende – vor uns liegt ein vor einigen Jahren fertiggestellter, 1,3 Kilometer langer Kehrtunnel, welcher das gefürchtete Muttnertobel gefahrlos durchquert und uns kurz vor unserem Zwischenziel wieder ausspuckt: der Ortschaft Mutten (wichtig: M, nicht N, sonst gibt’s Theater. Im Rätoromanischen heisst die Ortschaft eh nur «Mut», was angesichts der Strasse, die noch folgen wird, ohnehin viel angemessener scheint). Mutten ist eine einstige Walsersiedlung – und vor allem die einzige deutschsprachige Siedlung in dieser rätoromanischen Region. Das ehemalige Älpler- und Maiensässdorf ist auf drei Etagen angelegt – in früheren Jahren wechselten die Einwohner ihrem Vieh folgend mehrmals jährlich stufenweise ihre Wohnsitze. Wir haben nun gerade die erste Stufe erreicht: Untermutten, auf 1450 Metern über Meer gelegen, ist quasi das Hauptdorf, in welchem die Mehrheit der verbliebenen 70 Einwohner lebt.
Doch wo’s ein Unter- gibt, gibt’s meist auch ein Ober-, und bei Mutten ist es genauso. Dieses Obermutten nehmen wir nun ins Visier, und so kommt auch der Abenteuer-Teil ins Spiel. Ausgangs Untermutten ist der Asphaltbelag nämlich zu Ende, die Fahrt führt für die letzten drei Kilometer oder 15 Minuten auf einer Schotterstrasse über Feld und Flur steil den Hang empor. Was für ein Gefühl! Im Kraxelgang müht sich der Minibus Höhenmeter um Höhenmeter nach oben, 1. Gang, 2. Gang, wieder 1. Gang – oder Stillstand, wenn an der unpassendsten Stelle ein Auto entgegen kommt.
Die engen Kurven verlangen dem Fahrer Höchstleistungen hinter dem Steuer ab, auch einige Fahrgäste kommen ordentlich ins Schwitzen. Eine falsche Bewegung, und der ganze gelbe Metallklumpen würde hunderte Meter den steilen Hang hinab ins Tal kullern. Indemini mit seinen hundert Serpentinen war ja das eine – aber das hier? Echt cool, wo diese Postautos überall hinfahren!
Immerhin 24 Haarnadelkurven kann auch diese Strecke bieten, dann ist es geschafft. Nach einer Fahrzeit von 44 Minuten sind wir in der Alpsiedlung Obermutten angekommen, auf 1863 Metern über Meer. Aber es könnten auch viertausend sein, so weit weg ist der geschäftige Bahnhof Thusis, von welchem wir gestartet waren. Die weissen Knöchel, die sich einige eher ängstlich veranlagten Fahrgäste vom permanenten in-den-Vordersitz-krallen davongezogen haben, haben sich aber definitiv gelohnt. Was für ein beschauliches Paradies hier oben! Ein Haufen von dreissig bis vierzig urchigen Häuschen aus gegerbtem Holz thront hier auf saftig grünen Matten über der Landschaft und geniesst den erhabenen Ausblick.
Sobald der Motor und der mindestens ebenso laute Kühler des sich bald wieder ins Tal verabschiedenden Mercedes Sprinter verstummt sind, ist es mucksmäuschenstill, und es scheint, als sei die Zeit stehengeblieben. Alltagsstress, Telefon, Internet, Facebook – alles plötzlich gaaaanz weit weg. Oder? Weit gefehlt! Kaum habe ich meinen Dorfrundgang begonnen, stellt sich mir doch tatsächlich eine Facebook-Pinnwand in den Weg. Eine Facebook-Pinnwand? Jaja, wahrhaftig! Hat der Meyer zu viel Höhenluft abgekriegt? Nein, ganz im Gegenteil.
Im Zuge einer Werbeaktion versprach Obermutten, dass jeder, der Fan ihrer Facebookseite werde, auf einer «Wall of Fame» im Dorf verewigt würde. Die Sache sprach sich herum, Fernsehstationen aus dem In- und Ausland berichteten darüber – und schwupps, hatte Obermutten über 40’000 neue Freunde in aller Welt gewonnen. Doch das Versprechen wurde eingehalten, und so prangen nun auf einer Tafel am Dorfrand 40’000 Konterfeis aus aller Herren Länder. Mittlerweile wurde gar einer der alten Ställe des Weilers zu einem kleinen Museum umfunktioniert, weil die Fans aus aller Welt gar Geschenke nach Obermutten schicken – der Bau trägt nun den etwas gar hochtrabenden Namen Obermutten International Museum Of Friendship (OIMOF). Aber dem lauschigen Obermutten verzeiht man auch das. Das OIMOF besuche ich zwar nicht, denn meine akute Museumsphobie reicht so weit, dass selbst so ein spezieller Memorabilientempel nicht dagegen anzukommen vermag. Statt dem Oimof beobachte ich einige Oink Oinks, ein paar Muuhs, und bewundere den Rest des Dorfes. Allen voran die prächtige Kirche aus Lärchenholz: Das 1718 erbaute Gotteshaus ist die einzige vollständig aus Holz gebaute Kirche der Schweiz, und die höchstgelegene Holzkirche Europas.
Bis zwei Stunden später das Postauto wieder vorbeischauen würde, bleibt genügend Zeit, um noch auf der Terrasse des Berggasthauses Post einzukehren, und bei einigen Bündner Spezialitäten die phänomenale Aussicht zu bewundern.
Diese Stärkung kann ich auch gebrauchen, denn es steht nach langer Pause bald wieder einmal eine Wanderstrecke auf dem Programm. Das nächste Postauto holt mich pünktlich in Obermutten ab und bringt mich auf der spektakulären Flurstrasse noch ein Stückweit hinunter ins Tal. An Bord befindet sich derweil der grösstmögliche Kontrapunkt zur stillen und erhabenen Landschaft, die uns umgibt: An Bord hat es sich ein Rentnertrüppchen aus der Ostschweiz gemütlich gemacht, und schnattert, wie es nur die St. Galler können, aufgeregt plaudernd vor sich hin. Da bin ich fast schon froh, kann ich bald aussteigen und in die ruhige Natur entschwinden…!
Bei der Haltestelle Solis steige ich aus, lasse den Schnatterhaufen hinter mir, und nehme die bevorstehende Wegstrecke unter die Füsse. Immerhin, es sind nur vier Kilometer bis ins ebenfalls am Hang gelegene Dörfchen Stierva, und die Wanderung präsentiert sich angenehm aussichtsreich.
Das «Ortsbild von nationaler Bedeutung» des Haufendorfs Stierva verpasse ich irgendwie, ich habe nur Augen für mein nächstes Postauto: In der Zwischenzeit hat sich nämlich ein 2005er Volvo 8700 des Postauto-Unternehmers Reptrans aus Salouf hier hochgemüht, und bringt mich zurück ins Tal. Genauer gesagt nach Savognin. Die 16 Kilometer lange Strecke wäre eigentlich wirklich schön, verläuft sie doch aussichtsreich auf einer Terrasse hoch über dem Surses (dem Tal entlang der Julia), wo sie die erhöht gelegenen Dörfer Stierva, Mon, Salouf und Riom verbindet – ja gar eine Stichfahrt ins noch höher gelegene Parsonz ist enthalten. Doch leider ist die Sonne zehn Minuten zuvor hinter den Bergen verschwunden, und die Umgebung präsentiert sich nun als ziemlich düsterer Einheitsbrei. Schade drum – das würde ich gerne noch einmal bei besserer Beleuchtung sehen und fotografieren.
Anmerkung: Um dieser äusserst eindrücklichen Etappe gerecht zu werden, kehrte ich ein paar Wochen nach dem ursprünglichen Befahren der Strecke zurück, um noch ein paar Aussen-Aufnahmen zu schiessen – daher die herbstliche Stimmung auf einigen Bildern 🙂
2 Responses
Michael
War vergangenes Jahr zu Fuß auf der Via Spluga unterwegs und durfte einige Orte dieser Etappe kennenlernen.
Einzelne Orte anderer Etappen sind mir auch von Marsch- und Wanderveranstaltungen vertraut.
Tolle Beschreibungen und Bilder. “Es juckt schon wieder loszugehen”.
Wenn es mal zu Fuß nicht mehr so gut geht, werde ich dann auch das Postauto nehmen.
Tis
Vielen herzlichen Dank für Ihren lieben Kommentar! Es freut mich, dass die Bilder und Beschreibungen zu neuen Touren motivieren! Zu Fuss kann man natürlich auch sehr viel entdecken – und trotzdem ist es gut zu wissen, dass bei Bedarf auch das Postauto nie weit entfernt ist :-).