34: Bellinzona – San Bernardino – Nufenen

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Nach meinem Abstecher ins Tessin nehme ich nun Kurs auf die nächste bedeutende Region meiner Reise: Den Kanton Graubünden. Von Bellinzona bringen mich die Postautos erst durch das beschauliche, mit imposanten Burgen und hübschen Kirchen gesprenkelte Misox, und dann über den landschaftlich wie fahrerisch äusserst ansprechenden San Bernardino-Pass.

34: Bellinzona – San Bernardino – Nufenen

 

 

Fahrt-Logbuch:

Linie Von Nach Bus BJ Halter Zeit KM
171 Bellinzona, Stazione San Bernardino, Posta Temsa Safari RD 2012 Regie 0:47 47,2
171 San Bernardino, Posta Bellinzona, Stazione Temsa Safari RD 2012 Regie 0:49 47,2
214 Bellinzona, Stazione San Bernardino, Posta Setra S313UL 2002 Regie 1:17 48,6
541 San Bernardino, Posta Nufenen, Dorf Volvo 8700 2004 Regie 0:45 21,1

 

English Summary:

English Translation - click to view

After my tour around the Ticino region it’s now time to leave southern Switzerland behind and set sails for the next major area of our country: Grisons, the largest and easternmost canton of Switzerland, which promises to hold a lot of excitement in store: Its area is almost entirely covered by a close succession of mountain chains, passes and valleys, the majority of which are also served by the PostBusses. In its territory, both the longest route and the highest bus stop of my trip are waiting for me, besides many other very attractive drives. In addition, Grisons is also the only trilingual canton of Switzerland and home to the small population speaking our fourth official language, the very melodic Rumantsch – it will therefore allow me to get a glimpse of this often-overlooked part of Swiss culture.

It almost seems like I can’t wait to go there, because I mistakenly board an Express bus that runs from Bellinzona to Grison’s capital, Chur, with only a handful of stops, spending most of the time on the motorway. Of course that’s quite the opposite of what I had in mind, and so I get out at the first chance (which is after almost an hour…) for a second try. That attempt is successful and I eventually find myself aboard an old Setra bus that is doing the milk run in the Misox valley. The valley is one of Grison’s far-reaching tentacles that lie on the southern side of the Alps and also bestow the Italian language on the canton’s portfolio. With its steep slopes covered in dense forests, the frequent charming villages, impressive castles and intricate churches it is quite a sight on its own.

Its last outpost is the village of San Bernardino, a former wintersports mecca that used to welcome thousands of visitors to its slopes and hot springs but is now mostly decaying and looking for new investors. After a change of busses I continue my journey over the serpentine roads of the San Bernardino Pass, an ancient crossing of the Alpine chain that has been used to transfer goods between the north and south for centuries. After a brief stop at its summit at 2’066 meters above sea level we steeply descend towards the Hinterrhein valley where I meet for the first time with a companion that will  escort me along many of my remaining legs: The river Rhine in its very early stages.

 

Nach meinem längeren Rundreisli durch den Kanton Tessin bin ich zurück in Bellinzona, von wo nun die Weiterführung meiner eigentlichen Schweiz-Umrundung per Postauto ansteht. Es soll in Richtung Bündnerland gehen, zuerst das Misox hinauf und dann über den San Bernardino-Pass bis ins Dörfchen Nufenen auf dessen anderer Seite. Also kurz auf der Postauto-App geschaut – wunderbar, stündliche Verbindungen, perfekt. Bei meiner Ankunft am Bahnhof Bellinzona gleich die nächste positive Überraschung: An der Haltestelle steht ein mir total unbekanntes Bus-Fabrikat: ein Temsa Safari RD. Rasches Googeln führt zutage, dass es sich dabei zwar nicht um ein afrikanisches Modell mit Panoramafenstern für Tierbeobachtungen handelt, aber immerhin dennoch um einen Exoten: Ein türkisches Fabrikat, welches den etablierten europäischen Herstellern vor allem dank moderater Preise Marktanteile abzujagen versucht. Also los, ab auf Safari durchs Misox!

 

Ungewohnte Silhouette: Der Temsa Safari ist einer der Busse, welche die Chur-Bellinzona-Linie befahren.
Ungewohnte Silhouette: Der Temsa Safari ist einer der Busse, welche die Chur-Bellinzona-Linie befahren.
Auch dieser Neoplan-Doppelstöcker gehört zum Flottenpark - leider war mir eine Fahrt nie vergönnt.
Auch dieser Neoplan-Doppelstöcker gehört zum Flottenpark – leider war mir eine Fahrt nie vergönnt.

 

Bald werde ich jedoch misstrauisch. Kaum haben wir Bellinzona verlassen, fahren wir auf die Autobahn auf, und der Chauffeur macht keine Anstalten, diese bald wieder verlassen zu wollen. Dabei lägen doch links und rechts ein paar hübsche Dörfchen, adrette Kirchen und gar imposante Burgen. Was ist denn hier los?

Schliesslich wird das Misstrauen zu gross, ich wage einen erneuten Blick in die Fahrplan-App – draussen verpasse ich ausser einem breit geteerten Asphaltband ja eh nix. Und oh Schreck, ich machte einen typischen Anfängerfehler: Die stündlichen Fahrten sind alles Eilkurse nach Chur, welche den Grossteil der Strecke auf Autobahnen und in Tunnels zurücklegen, ja den San-Bernardino-Pass gar nicht überqueren sondern unterfahren. Schnellzugstempo also statt Safari, aber das kann’s ja wirklich nicht sein. Was ich leider erst jetzt merke: Wer lieber den Bummelzug nimmt, für den bedeutet die Pass-Überquerung ein Patchwork von drei lokalen Buslinien.

Aber das ist es mir wert. Kann ich bitte sofort aussteigen? Tja, bei Tempo 100 auf der Autobahn bleibt das ein frommer Wunsch. Also bleibe ich bis zum nächsten Halt sitzen – das dauert einfach ein wenig, schliesslich sitze ich Tölpel ja im Expressbus, der sich durch möglichst wenige Zwischenhalte auszeichnet.

 

Im Schnellzugs-Temsa  -Tempo durchs Misox – nein, so war das nicht geplant!

 

Eeeeetwas später also, erneut am Bahnhof Bellinzona, nächster Versuch. Zurück auf Feld eins. Diesmal besteige ich einen Setra S313UL, der nur bis zum Dörfchen San Bernardino fährt – aber dafür auf der Landstrasse. Der Bus trägt ein Bündner Nummernschild, was mich etwas verwundert. Erst beim neuerlichen Blick auf die Karte habe ich ignoranter Flachländer die zweite Offenbarung: Dass San Bernardino und der Grossteil des Misox ja zum Kanton Graubünden gehören, und nicht, wie die italienischen Dorfnamen vermuten lassen würden, zum Tessin. Amtssprache ist zwar Italienisch, mein Fahrer begrüsst mich aber trotzdem in breitestem Bündnerdialekt. Hurra, damit ist die letzte Sprachgrenze auf meiner Tour passiert– nach Französisch und Italienisch sollte ich für den Rest der Rundreise nur noch Deutsch sprechen können (sollte ich meinen). Perfekt, dann funktioniert auch das mit dem Smalltalk besser!

Ebenso perfekt ist die Streckenführung: Wir fahren auf der weitläufigen und spärlich frequentierten Hauptstrasse, passieren immer mal wieder ein ziemlich hübsches Dörfchen, während die immer näher rückenden Berge Grosses verheissen.

 

Der Moësa entlang ins Misox...
Der Moësa entlang ins Misox…
...

 

Leggia, dominiert von der Kirche Sant'Antonio e Bernardo aus dem Jahr 1513
Leggia, dominiert von der Kirche Sant’Antonio e Bernardo aus dem Jahr 1513
Wir passieren den Gegenkurs
Wir passieren den Gegenkurs

 

Wir folgen der bisweilen reissenden Moësa, dem Fluss, welcher beim San Bernardino-Pass entspringt und dann das ganze Tal durchfliesst. Früher blühte hier neben Ackerbau und Viehzucht vor allem die Forstwirtschaft, Holz von den dicht bewaldeten Bergflanken wurde gerne bis in die Lombardei exportiert. Das Tal stand derweil lange Zeit unter der Herrschaft der Freiherren von Sax, welche in einer grosszügigen Burg auf einem Felsen südlich des Dorfes Mesocco residierten. Das Bauwerk ist bis heute gut zu sehen, und hat nur wenig von seiner Imposanz verloren.

Später verkauften die Freiherren von Sax Tal und Burg an den Mailänder Feldherrn Gian Giacomo Trivulzio, welcher übrigens auch die französischen Truppen bei der Schlacht von Marignano befehligte und den Eidgenossen dort eine empfindliche Niederlage zufügte. Aus seiner Ägide stammt auch die sehenswert auf einem Felssporn thronende Kirche San Martino.

 

Äusserst idyllisch!
Äusserst idyllisch!

 

Das Castello di Mesocco
Das Castello di Mesocco

 

Die auf einem Felsvorsprung errichtete Kirche San Martino von Soazza ist weitherum sichtbar. Erstmals erwähnt wurde sie im Jahr 1219
Die auf einem Felsvorsprung errichtete Kirche San Martino von Soazza ist weitherum sichtbar. Erstmals erwähnt wurde sie im Jahr 1219

 

Nach einer Stunde Fahrzeit beginnt die Topographie rasch anzusteigen, und nach dem Passieren des Dörfchens Mesocco biegt auch unser Lokalkurs für die letzten paar Kilometer noch auf die Hauptverkehrsachse ab und reiht sich in den Tross deutscher Wohnmobile und italienischer Lastwagen ein: Willkommen (abermals) auf der San Bernardino-Autobahn. Hier oben ist das aber nicht mehr so schlimm, denn um die 900 Höhenmeter zwischen Mesocco und dem Dorf San Bernardino zu überwinden, greift auch die Autobahn tief in die Trickkiste sehenswerter Strassenbauarchitektur: Weite Haarnadelkurven, geschwungene Routenführung, und nicht weniger als drei aussichtsreiche Viadukte über die Moësa bietet sie.

 

Ortsdurchfahrt von Grono, mit der Kirche Santi Rocco e Sebastiano
Ortsdurchfahrt von Grono, mit der Kirche Santi Rocco e Sebastiano
Blick hinunter auf zwei nördliche Dorfteile von Mesocco
Blick hinunter auf zwei nördliche Dorfteile von Mesocco

 

Im Convoy San Bernardino entgegen
Im Convoy dem San Bernardino entgegen
...

 

So sehen auch Autobahnen ansprechend aus!
So sehen auch Autobahnen ansprechend aus!

 

Ein letzter Blick zurück in Richtung Süden
Ein letzter Blick zurück in Richtung Süden

 

Schliesslich treffen wir im auf 1‘600 Metern über Meer gelegenen Dorf San Bernardino ein, der letzten Siedlung vor dem gleichnamigen Pass. Dank seiner Mineralquelle wurde der abgelegene Weiler einst zu einem bedeutenden Ferienort, mehrere Heilbäder und Hotels öffneten hier ihre Pforten. Von diesem Glanz ist aber nicht mehr viel übrig: Erst kürzlich hat der «BLICK» den Niedergang der Gemeinde für seine Leserschaft genüsslich filetiert; so stehen die Lifte des Skigebiets seit Jahren still, auch für die Mineralquelle werden neue Investoren gesucht, und mehr als einmal sind die Bernhardiner (oder wie sie auch immer heissen mögen) auf die wortreichen Versprechungen ausländischer Financiers hereingefallen. Traumprojekt ist ein Skiresort mit einem Luxus-Wellnesshotel, aber eben: das Geld fehlt. 150 Millionen wären dafür nötig. Mit stetiger Regelmässigkeit taucht zwar ein neuer mehr oder weniger dubioser Investor auf, doch wirklich handfest sind die Pläne noch nicht geworden. Schade, denn eigentlich präsentieren sich Dorf und Landschaft ziemlich malerisch!

 

Der Lago d’Isola kündigt die Ankunft im Dorf San Bernardino an
Der Lago d’Isola kündigt die Ankunft im Dorf San Bernardino an…
...ebenso dieser Kollege hier
…ebenso dieser steinerne Kollege hier

 

Blick auf die Bergkapelle San Bernardino mit den Gipfeln des gleichnamigen Bergmassivs
Blick auf die Bergkapelle San Bernardino mit den Gipfeln des gleichnamigen Bergmassivs
San Bernardinos Kirche ist ganz schön aussergewöhnlich: mit seiner runden Form soll das Bauwerk aus dem 19. Jahrhundert die Chiesa San Carlo al Corso in Mailand nachahmen.
San Bernardinos Kirche ist ganz schön aussergewöhnlich: Mit seiner runden Form soll das Bauwerk aus dem 19. Jahrhundert die Chiesa San Carlo al Corso in Mailand nachahmen.

 

San Bernardino (GR) - Idylle pur!
Eigentlich wär’s ja sooo idyllisch hier!

 

Vor der Poststelle von San Bernardino und dem gleich daneben liegenden Ristorante Postiglione drängen sich wenigstens die Postautos noch Tür an Tür. Unter ihnen steht schon mein Bus für die Weiterfahrt bereit, obwohl diese erst in einer Viertelstunde angesetzt ist: Ein hochfluriger Volvo 8700 aus dem Jahre 2004. Der Fahrer sitzt bereits hinter dem Steuer und dreht Däumchen, doch als ich einsteigen und bereits mal meine sieben Sachen auf dem Sitz verstauen will (okay, eigentlich will ich mir vor allem den Aussichts-reichen vordersten Sitz unter den Nagel reissen), komplimentiert er mich in breitestem Bündnerdialekt freundlich aber bestimmt wieder hinaus: «Naaai, jetzt na nitta. Immar mit da Ruah!» . Na gut, dann sitze ich halt im windgepeitschten Dörfchen auf den Randstein und harre aus, bis mich der gütige Herr in sein heiliges fahrbares Reich eintreten lässt.

 

Postauto-Gedränge in San Bernardino - mein Vehikel für die Weiterfahrt hat die Nase vorn!
Postauto-Gedränge in San Bernardino – mein Vehikel für die Weiterfahrt hat die Nase vorn!

 

Zwei Minuten vor Abfahrt fühlt er sich dann offenbar in der Verfassung, wieder Fahrgäste ertragen zu können, und ich darf einsteigen. Zeit für die nächste Meinungsverschiedenheit: Gemäss Fahrplan fährt der Bus nur bis ins Dorf Nufenen (was mir eine Stunde Wartezeit auf eine Weiterfahr-Gelegenheit einbrockt), auf der Anzeigetafel über der Windschutzscheibe des Busses steht nun, wie auch in obigem Bild sichtbar, aber plötzlich Thusis als Destination (was viel besser wäre). Ob er bis nach Thusis oder zumindest bis zu meinem Zwischenziel Andeer fahre, will ich mich also beim Fahrer erkundigen. «Nai, uf Nufana dengg». Jäso, aber das ginge also auch ein Bisschen freundlicher. Irgendwie ist mein Start mit diesen Bündner Steinböcken etwas harzig. Ich hoffe, das wird noch besser!

Schliesslich gesellen sich noch ein paar Touristen hinzu, die meisten anderen Passanten steigen jedoch in die Expresskurse nach Chur bzw. Bellinzona. Jene sind schon längst davongedüst, als sich unser behäbiger Bünder Bär langsam in Fahrposition hievt – nein, Express kennt der definitiv nicht! Schliesslich nehmen wir aber doch Fahrt auf und lassen San Bernardino hinter uns, während wir durch einen dichten Nadelwald hindurchfahrend an Höhe gewinnen.

 

Bergfahrt durch den dichten Nadelwald
Bergfahrt durch den dichten Nadelwald
...

 

Bald schon ist auch die Baumgrenze erreicht, die Vegetation wird spärlich, dafür breitet sich nun die sehenswerte Gegend der Passhöhe vor mir aus: In wilden und teils bizarren Serpentinen schlängelt sich die Strasse in den Himmel empor, bis zu den an den Wolken kratzenden Gipfeln im Hintergrund.
Bedächtig, ja nahezu meditativ, dafür mit gehörigem Körpereinsatz bugsiert der Fahrer seinen Volvo um jede Haarnadel weiter nach oben. Das scheint echte Schwerstarbeit zu sein, denn während jeder Kurve ächzt und stöhnt unser Chauffeur mehr als der Bus selbst, gefolgt von einem erschöpften Seufzer wenn die Serpentine endlich wieder in die nächste Gerade übergeht und eine kurze Regenerationsphase winkt.

 

Baumgrenze erreicht!
Baumgrenze erreicht!
Eng windet sich die Passstrasse in die Höhe
Eng windet sich die Passstrasse in die Höhe

 

Draussen zieht die für den San Bernardino typische Landschaft vorbei: Sanfte Rundhöcker aus Stein und unzählige kleine Moore, beide Zeugen des einstigen Gletscherschliffs. Historisch bedeutend ist der Passübergang schon seit dem Mittelalter, als hier ansässige Bauern ihr Vieh für Saumtransporte nutzten: Im Sommer als Lasttiere, und im Winter zur Beförderung von Frachtschlitten über den Pass. 1823 wurde dann unter gütiger finanzieller Mithilfe des Königreiches Sardinien-Piemont die erste Passstrasse eröffnet, welche bald auch ins Postkutschennetz aufgenommen wurde und den Frachtverkehr abermals stark beflügelte: Bis zu 27’000 Tonnen Waren pro Jahr wurden über den Pass geführt. Das brachte die Einwohner der Lombardei und der Gotthard-Kantone ziemlich auf der Palme, sahen sie doch aufgrund des neuen hippen Alpenübergangs ihre Felle am Gotthard davonschwimmen. Doch nicht für lange: Die Erbauung der Gotthard-Eisenbahn 50 Jahre später war es dann nämlich, die (zusammen mit den fast zeitgleich erbauten Strecken über Brenner und Mont Cenis) den Warenverkehr über den San Bernardino wieder zum Erliegen brachte.

 

Viel Tohuwabohu am Pass!
Viel Tohuwabohu am Pass!

 

Obwohl das träge und beeindruckend unterkühlte Naturell unseres Fahrers einem Gletscher während der Eiszeit bisher ziemlich nahekommt, setzt oben auf der Passhöhe plötzlich das Tauwetter ein: Er lässt sich zu ein, zwei träfen Sprüchen über die hier oben versammelten Motorradcliquen hinreissen, und parkt dann überraschenderweise seinen Bus am Strassenrand. Wir seien eh zwei Minuten zu früh (wie auch immer er das fertiggebracht hat…) – wenn ich wolle, könne ich ja kurz aussteigen, um ein paar Fotos zu schiessen. Gesagt, getan – auch wenn mich stets die Angst plagt, dass der Chauffeur jeden Augenblick die Türen schliesst und davonbraust, weil alles nur eine List des gewieften Bündners gewesen ist, um den nervigen dauerknipsenden Unterländer loszuwerden.

 

Der Laghetto Moesola ist erreicht, und mit ihm die Passhöhe
Der Laghetto Moesola ist erreicht, und mit ihm die Passhöhe

 

Kurze Rast!
Kurze Rast!

 

Dem ist jedoch nicht so, die Weiterfahrt startet erst, als ich wieder an Bord bin. Wir verlassen die auf 2’066 m.ü.M. gelegene Passhöhe und nehmen die Talfahrt in Angriff. Zuerst windet sich die Strasse noch mit einigen verschlungenen Serpentinen verträumt durchs Hochmoor, dann schlängelt sie sich stur und gleichförmig der steilen Talflanke entlang hinunter in Richtung Hinterrhein. Dieser Haarnadel-Abschnitt ist dabei so regelmässig gebaut, dass das Schnauben des Chauffeurs beinahe schon rhythmische Züge annimmt und durchaus als Beat für einen Hip-Hop-Hit von Weltruhm herhalten könnte. Immerhin übe ich mich hier bezüglich seiner Stöhngeräusche nun in Nachsicht – die Haarnadeln sind dermassen eng gebaut, dass wirklich eine gehörige Portion Körpereinsatz und Augenmass von Nöten sein dürfte, um den stur der Schwerkraft folgenden Volvo im Zaum zu halten.

 

Verwinkelt ist nur der Vorname! San Bernardino-Passstrasse
Verwinkelt ist nur der Vorname!

 

Hier verlaufen die herausgeputzten Serpentinen schön regelmässig
Hier verlaufen die herausgeputzten Serpentinen schön regelmässig

 

 

...

 

Langsam aber stetig vernichten wir so 400 Höhenmeter und erreichen schliesslich den Boden des Hinterrhein-Tals, bzw. seines obersten Talabschnittes, genannt Rheinwald. Hier biegen wir überraschenderweise gleich auf die Autobahn ab – der eigentlich geplante Halt im Örtchen Hinterrhein, wo ich gerne ausgestiegen wäre um dessen schmucken Dorfkern zu besichtigen, fällt offenbar aus unerklärlichen Gründen aus. Zu widersprechen traue ich mich nicht mehr – wahrscheinlich hat der dumme Unterländer wieder irgendein Detail übersehen, und sowieso: die entsprechende Autobahn-Ausfahrt ist soeben an uns vorbeigerauscht.

Naja, so fahren wir halt noch weiter bis zur Endstation des Busses, nach Nufenen – hier befindet sich die Postauto-Haltestelle gleich an der Autobahn-Ausfahrt, und ist ergo mit genügend geringer Mühe anzusteuern, dass sich auch mein lethargischer Chauffeur für deren Bedienung erwärmen kann.

 

Adieu! In (bzw. Ausserhalb von) Splügen ist Endstation, obwohl der Bus mit Thusis beschriftet ist
Adieu! In (bzw. ausserhalb von) Nufenen ist Endstation, obwohl der Bus mit Thusis beschriftet ist

 

Er spickt mich also kurz aus dem Bus und setzt dann seine Reise auf der Autobahn fort – wohin genau, erschliesst sich mir auch nicht. Wahrscheinlich nach Andeer, einfach ohne mich.

Egal, so habe ich Zeit, mich in Ruhe in der neuen Umgebung umzuschauen, denn die Unterschiede zum Tessin sind frappant: Die Hänge sind (endlich) nicht mehr dicht bewaldet, sondern gerodet und von einzelnen verstreuten Alpen geschmückt – das erweckt ein Gefühl von viel mehr Raum, und eignet sich auch besser für pittoreske Fotomotive. Ebenso unterschiedlich ist natürlich der Baustil der Häuser und der Dörfer allgemein, wie ich auf einem kurzen Spaziergang durch das Zentrum von Nufenen schnell erkenne. Meinen Weg tiefer ins Bündnerland hinein setze ich dann in der nächsten Etappe fort…

 

Endlich wieder unbewaldete Hänge...
Endlich wieder unbewaldete Hänge…
...und auch der Talboden ist schön übersichtlich :-)
…und auch der Talboden ist schön übersichtlich 🙂

 

Nufenen (GR)
Momoll, ganz nett hier! Die Skyline von Nufenen, dominiert vom schlichten Turm der reformierten Kirche, erbaut 1643.

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