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Auf Tuchfühlung mit der Natur und Technik des (Berner) Jura: Von Saignelégier führt die Route am Étang de la Gruère und dem Windpark Mont Crosin vorbei, bevor ich die einstigen Epizentren der Uhrmacher-Industrie passiere und mich ein steiler Weg durch felsige Schluchten zum Höhepunkt der Etappe emporführt: Dem Berg Chasseral hoch über dem Bielersee.
5: Saignelégier – St. Imier – Chasseral
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
32 | Saignelégier, Gare | Saignelégier, Moulin de Gruyere | Mercedes-Benz O530 LE Citaro | 2012 | TSPG, Goumois | 0:06 | 3,5 |
32 | Saignelégier, Moulin de Gruyere | Les Reussilles, Gare | Mercedes-Benz O530 LE Citaro | 2012 | TSPG, Goumois | 0:05 | 3,0 |
– | Les Reussilles, Gare | Chasseral, Col | Zu Fuss | – | – | 4:52 | 22,2 |
English Summary:
Today’s routing takes me from the regional center of Seignelégier to a mystical nearby lake, the Étang de la Gruère. From there, the PostBus takes me further south to the station of Les Reussilles – selected only for its proximity to the next PostBus network. However, even from there it’s still another hilly 20km hike to my next destination, so I’m in for a challenge! The only challenge during the first hour of hiking however is not ending up as roadkill, as there is no hiking path to be found and I have to stick to the highway. Afterwards however, it gets distinctly more beautiful: The route doesn’t just take me beneath imposing trees, but leads me through an alley of impressive wind turbines that are up to 110 meters high. From there, I descend down to the town of St-Imier, known for its long watchmaking tradition and home to Longines watches.
After crossing the valley, it’s time for the final ascent up Mount Chasseral. Most of it is done via a narrow gorge called Combe Grède, and climbing its steep walls turns this part of the hike into a challenging yet very rewarding experience. In the end, I reach the top of the 1’600m high mountain, where a breath-taking panoramic view and hopefully the next yellow bus await.
Nach meinem ausgedehnten Leidensweg über die unzähligen Erhebungen des hügeligen jurassischen Hinterlandes soll die heutige Etappe etwas kürzer und knackiger sein. Stehengeblieben bin ich in Saignelégier. Die 2’500-Einwohner-Gemeinde ist Hauptort des jurassischen Bezirks der Freiberge und nimmt auch die Rolle als Zentrum der Region ein – so beherbergt sie das Bezirksgericht, -spital und zahlreiche Verwaltungsbetriebe. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist auch die Uhrenindustrie hier ansässig – vertreten unter anderem durch Maurice Lacroix. Letztlich ist Saignelégier auch touristisch ein wichtiger Knotenpunkt für die Region. Das liegt nicht primär am hohen touristischen Wert des Städtchens selber, sondern vielmehr an seiner guten Erschliessung mit Bahn und Bus. Eine kurze Sightseeing-Runde zeigt denn auch nichts übermässig eindrückliches, die einzigen beiden einigermassen sehenswerten Repräsentativbauten dienen beide der Verwaltung – auch wenn es sich beim einen davon um ein Schloss handelt (und beim anderen, wie mir scheint, um ein umfunktioniertes Schulhaus…)
Nachdem ich mich kurz umgeschaut habe, verlasse ich den Ort mit dem Postauto gen Süden. Zum Einsatz kommt der exakt gleiche Bus, welcher mich bereits in der vorherigen Etappe von Les Pommerats nach Saignelégier gebracht hatte: Der Citaro mit dem Kennzeichen JU1939. Betrieben wird dieser von einer Postauto-Genossenschaft namens TSPG. Diese Abkürzung kennzeichnet die Anfangsroute des Betriebes, deren Bedienung über 80 Jahre in die Vergangenheit reicht: Société Anonyme Des Auto Transports Tramelan Saignelégier Pommerats Goumois. Nur, dass ich diese Stammroute quasi rückswärts abfahre, und nicht in ihrer vollen Länge: Nur von Les Pommerats über Saignelégier bis kurz vor Tramelan. Aber fertig mit der Buchstabenklauberei: Kaum liegt Saignelégier nämlich hinter uns, gibt’s einiges zu sehen: Schöne Landschaften einerseits, aber auch anderes: So kommt der Postauto-Chauffeur auf meine Kamera zu sprechen, freut sich ausserordentlich, dass irgendso ein knipsender Tourist den bewölkten Jura offenbar für sehenswert hält, und zeigt mir kurz später eine Reh-Familie, die friedlich am Waldrand grast. So schön!
In diese Natur tauche ich auch gleich ein. Etwas ausserhalb von Saignelégier lockt der Étang de la Gruère, ein von dichten Nadelwäldern umgebener Moorsee – ein Kuriosum in der sonst so wasserdurchlässigen Kalkstein-Landschaft der Freiberge. Ganz so natürlich ist der See allerdings auch nicht: im 17. Jahrhundert wurde er aufgestaut, um eine angrenzende Mühle und Sägerei auch während Trockenperioden mit Wasser antreiben zu können. Später wurde er wieder gezielt entwässert, um an die wertvolle Torferde zu gelangen. Seit einiger Zeit jedoch steht die Landschaft als Hochmoor unter Schutz. Das muss ich mir natürlich ansehen! Ich steige also aus und pausiere, bis mich der selbe Fahrer mit dem selben Bus in einer Stunde auf seiner nächsten Runde wieder aufgabeln wird. Der sehr abgelegen und naturnah wirkende Weiher präsentiert sich währenddessen trotz des wolkenverhangenen Wetters äusserst idyllisch, ja geradezu mystisch: Dunkelbraun sein erdiges Wasser, an den Ufern erheben sich majestätisch die Tannen und Fichten. Ein wirklich lohnenswerter Abstecher!
Von hier bringt mich JU1939 weiter südostwärts, zum Bahnhof von Les Reussilles, welcher übrigens bereits im Kanton Bern liegt. Adieu, lieber wilder Jura!
Viel zu sehen gibt’s hier nicht: den Weiler habe ich einzig und allein deshalb als Halt auserkoren, weil er am dichtesten beim nächsten Postauto-Netz liegt. Doch auch so sind es noch gute 20 Kilometer zu Fuss, und ein kleiner Hügel liegt auch noch dazwischen: der 1’607 Meter hohe Chasseral. Also, auf in den Kampf!
Das erste Teilstück des Fussmarsches führt von Les Reussilles hoch auf den Mont Crosin, und von da wieder hinunter nach St-Imier im gleichnamigen Tal. Die erste Stunde wandere ich dabei der Hauptstrasse entlang, stets die auf mich zurasenden Autos im Blick haltend – bereit, jederzeit seitwärts in die Wiese zu hechten. Glücklicherweise habe ich aber ja kurz zuvor wieder die Grenze zum Kanton Bern passiert, bin also nicht mehr im verrückten Jura. Das kommt mir nun zugute: Die Lenker mit BE-Nummer, die mich wenn ich selber hinterm Steuer sitze mit ihrer defensiven Fahrweise immer schier zur Weissglut treiben, werden auch hier ihrem Ruf als Bremsendes Elend gerecht: sie passieren in Zeitlupentempo und weichen weiträumig aus, sodass ich mich wenigstens kurzfristig entspannen und die Landschaft geniessen kann. Zumindest, bis der nächste Exil-Jurassier mit 100 Sachen um die Kurve brettert…
Nach einer guten Stunde ist die Tortur überstanden, ich habe den Mont Crosin erklommen und darf nun auf den Wanderweg abbiegen.
Und das ist kein gewöhnlicher Wanderweg – er führt nämlich direkt durch eine Allee riesiger Windturbinen, die zusammen den grössten Windpark der Schweiz bilden. Die bis zu 110 Meter hohen Riesen produzieren im Jahr etwa so viel Energie, wie 17‘000 Haushalte verbrauchen.
Majestätisch drehen sie heute in der stiffen Brise und sorgen für eine groteske Geräuschkulisse inmitten der beschaulichen Natur. Von überall flap-flap-flappt es rhythmisch. Wenn man zu den riesigen Windrädern hochschaut wird einem fast schwindlig und man hofft inständig, dass sich keines der 45 Meter langen Rotorblätter löst und mit voller (Wind-)Energie auf einem zurast.
Glücklicherweise können sich die Windräder beherrschen, und ich meinen Weg ungehindert fortsetzen. Es folgt der Abstieg nach St-Imier. 500 Höhenmeter wollen vernichtet werden, was mittels unzähliger steiler Haarnadeln im Wald geschieht. Aussicht wird leider keine geboten, dafür genügend Training für Knie und Oberschenkel.
Von St-Imier sehe ich nicht viel; die Gebäude, die ich passiere, machen allerdings einen etwas verwahrlosten Eindruck. Das verwundert nicht weiter, war das Städtchen doch für lange Zeit intrinsisch mit der Uhrenindustrie verbunden und hat entsprechend auch all deren Krisen hautnah miterlebt. Knapp 50 Uhrmacherbetriebe gab es hier um 1850, heute sind es weniger als zehn. Am Dorfausgang passiere ich die grosse Firmenzentrale des Uhrenherstellers Longines, welcher 1832 hier gegründet wurde und bis heute einen Grossteil der Arbeitsplätze bietet.
Dann geht es zuerst etwas am Waldrand entlang und schliesslich – unweigerlich – wieder nach oben. 800 Höhenmeter stehen mir noch bevor, und die sind nicht ohne. Der Weg führt durch die Combe Grède, eine steile felsige Schlucht. Am Eingang warnen Hinweisschilder, man müsse schwindelfrei sein, stets auf möglichen Steinschlag aufpassen, und bitte den Vierbeiner zuhause lassen – um das felsige Terrain zu bezwingen gilt es drei Leitern zu erklimmen, und das mag Wauwau offenbar nicht. Na gut, ich bin also gewarnt. Der Einstieg ist allerdings noch relativ lieblich, es geht dem ausgetrockneten Bachbett entlang nach oben. Nun nur bitte keine Sturmflut!
Kühl ist es hier, kaum ein Sonnenstrahl findet in die enge Schlucht. Und alleine bin ich auch, obwohl es Sonntag ist – offenbar haben die anderen Wanderer alle Schiss vor der Schlucht, oder sind mit Hund unterwegs. Immerhin komme ich gut voran, und auch als die Felswände fast senkrecht werden, ist das Weiterkommen problemlos. Der Weg ist sehr gut ausgebaut, und überall wo nötig gesichert. Das hat ihm auch kürzlich den “Goldenen Wanderweg” eingebracht, in der Branche offenbar eine begehrte Trophäe.
So überstehe ich die Schlucht problemlos, erklimme die Höhenmeter wie im Flug, und gelange schliesslich auf eine Alpweide am Fusse des Chasserals. Hier dröhnt mir schon der Motorenlärm um die Ohren, die Töfffahrer sind zu hunderten hier – die Freuden einer Passstrasse locken im Frühling Krethi und Plethi aus dem Flachland hierher! Immerhin aber habe ich die Befriedigung, die 1607 Meter hohe Jura-Ikone aus eigener Kraft erklommen zu haben, und das erst noch über eine Stunde schneller als veranschlagt (in 1h 54min). Und oben wartet dann die wie erwartet formidable Aussicht auf das Drei-Seen-Land! Und ebenso sollte bald ein Postauto auf mich warten – jaja, der Berg ist auch mit den gelben Bussen erschlossen! Aber mehr davon dann in der nächsten Episode!
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