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Blickte ich dem Reise-Abschnitt durch das Prättigau erst skeptisch entgegen, überrascht mich das Tal bald schon sehr positiv. Es demonstriert rasch, dass es nicht eine blosse Zubringerachse nach Davos und Klosters ist, sondern zahlreiche charmante Ortschaften und sehenswerte Postauto-Kurse zu bieten hat.
44: Klosters – St. Antönien – Pany – Schiers
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
231 | Klosters Platz, Bahnhof | Küblis, Bahnhof | Mercedes-Benz O530 Citaro (facelift) | 2013 | Regie | 0:34 | 15,3 |
222 | Küblis, Bahnhof | St. Antönien, Platz | Irisbus Crossway 10.6m LE | 2013 | Regie | 0:28 | 11,8 |
222 | St. Antönien, Platz | Pany, Dorf | Irisbus Crossway 10.6m LE | 2013 | Regie | 0:15 | 7,7 |
214 | Pany, Dorf | Schiers, Bahnhof | Mercedes-Benz O818 D Vario | 2009 | Regie | 0:27 | 10,8 |
English Summary:
From Klosters, the next task is to follow the lengthy Prättigau valley which will lead me from the mountainous terrain of the previous episodes down to the more densely populated areas of northern Switzerland. However, from previous drives through the Prättigau valley I recall it as a pretty dull and dark place which is dominated by its busy road and rail links while offering little else. I am therefore not overly enthusiastic as this episode starts and determined to get it over with as quickly as possible.
However, things evolve quite differently than pictured and the journey becomes way more scenic than I’d ever dared to imagine. I find a couple bus routes that don’t run on my dreaded boring main road in the valley floor, but instead serve and connect picturesque alpine villages located way up on the valley slopes as a kind of highline. To top it off, the last of these routes is operated by my beloved archaic Mercedes-Benz Vario minibus, which won my heart early in my trip around Switzerland thanks to its classic appearance and its huffing and puffing motor. The vehicle, whose driver appears to be an identical twin of school bus driver Otto of the Simpsons Series, takes me on some narrow and treacherous roads down to the town of Schiers – where more Minibuses are already waiting. They’ll be the stars of the next episode!
Früh morgens am Bahnhof Klosters. Obwohl viel Postauto-Zeit bevorsteht, so richtig enthusiastisch bin ich nicht. Der Grund für die miese Stimmung ist mir sonnenklar: Vor dem Abschnitt “Prättigau” in meinem Reiseplan graute mir seit jeher. Ich kannte die Schnellstrasse durch das Tal (übrigens die meistbefahrene Hauptstrasse ganz Graubündens!) bereits von einigen privaten Autofahrten nach Davos. Hängengeblieben davon ist aber nicht allzu viel – bis auf den Umstand vielleicht, dass ich auf jener Strasse treffsicher *immer* irgendeinen Sonntagsfahrer vor mir habe, dessen lethargische Bedienung des Gaspedals mich mangels Überholmöglichkeiten während einer Stunde bis an den Rand des Wahnsinns treibt, was wiederum nachhaltig auf den Gesamteindruck des Tals abfärbt. Und selbst wenn ich dadurch mehr Zeit und Kapazität hatte, während meinen Fahrten nach landschaftlichen Schönheiten Ausschau zu halten: Ich sah einfach keine! Mein bisheriges gedankliches Bild des Prättigaus war das eines langweiligen Asphaltbandes, das sich durch ein schattiges, gesichtsloses, nicht enden wollendes Tal zwängt – unterbrochen nur ab und zu von irgendwelchen Dörfern oder verlassenen Baustellen, die sich der Autokolonne unnötigerweise nervig in den Weg stellen.
Ich war daher fest der Überzeugung, dass es des Prättigaus einziger Zweck ist, sämtliche Touristen aus dem Unterland möglichst schnell und ohne jegliche unnötige Ablenkung nach Klosters oder Davos zu spedieren. Dass es vielleicht bewusst zum hässlichen Entlein degradiert wurde, damit die Zielorte umso mehr brillieren können. Jedenfalls war ich im Hinblick auf diesen “Prättigraus” doch etwas gefrustet, ja überlegte mir gar kurzzeitig, meine Reise in weitem Bogen rundherum zu führen. Dann entschied ich jedoch, trotzdem auf die Zähne zu beissen und mir das Prättigau einmal mehr anzutun. Und wisst ihr was? Es ist wunderschön im Prättigau – wenn man nur weiss, wo. Das Postauto zeigte es mir einmal mehr!
Doch vor dem grossen Schaulaufen des Prättigaus beginnt der Tag wie erwartet: Mit Verunsicherung und Langeweile. Das beginnt schon damit, dass wegen Bauarbeiten die eigentliche Bushaltestelle beim Bahnhof Klosters gesperrt ist. Pfeile weisen darauf hin, dass der Ortsbus auf der gegenüberliegenden Seite des Bahnhofes hält. Ob mein Postauto nach Küblis auch als Ortsbus gilt? Ich muss mich entscheiden, renne hinüber – und liege gottseidank richtig. Ein Mercedes-Benz Citaro neueren Baujahrs kommt direkt aus der Garage angerauscht, bereit für den Arbeitstag.
Immerhin, mein Fahrer startet voller Elan in seinen Tag, schäkert mit den zusteigenden Müttern, die ihre Sprösslinge ins MuKi-Turnen begleiten, und findet schliesslich auch an meiner Foto-Arbeit gefallen. Ich solle nur sagen, wenn er an einer sehenswerten Stelle anhalten soll – und wenn ich möchte, öffne er gerne auch die Tür, damit die Bilder nicht durch die Scheiben verspiegelt würden. Na das ist doch mal ein Entgegenkommen! Ich lehne aber dankend ab. Zum einen will ich seinen Zeitplan nicht durcheinanderbringen, und zum anderen ist es Teil der Challenge, aus den ungünstigsten Bedingungen und den schnell vorbeihuschenden Sehenswürdigkeiten die besten Momentaufnahmen rauszuholen. Und zum dritten erwarte ich hier im Prättigau ja eh nichts Sehenswertes.
Die ersten zehn Minuten sind so langweilig wie erwartet. Nach Passieren von Klosters‘ eindrucksvoller moderner katholischer Kirche, die stark mit dem historischen Bau der Reformierten kontrastiert, fädeln wir uns auf die bekannte öde Schnellstrasse ein und rollen talwärts. Doch bald hat mein Fahrer ein Einsehen, setzt den Blinker und biegt auf ein schmales Strässchen ab. Dieses führt uns auf einer Stichfahrt hinüber ins hübsche, am Gegenhang gelegene Dörfchen Serneus, wo die Mutter-Kind-Gespanne bei der örtlichen Turnhalle abgeladen und wortreich verabschiedet werden.

Bald darauf finden wir uns in Küblis wieder, wo die Route 231 zu Ende ist. Von hier könnte man nun mit dem nächsten Postauto einfach im Talboden weiter nach Norden fahren. Aber ich habe da viel bessere Alternativen gesehen, mit etwas prickelnderer Atmosphäre und einem Schuss Abenteuer.
Bald biegt am Bahnhof ein 10,6 Meter langer Irisbus Crossway um die Ecke – DER präferierte Bergbus aus dem Wallis, das verheisst Gutes! Wie erhofft lassen wir die mich anwidernde Talstrasse schnurstracks links liegen, stattdessen nimmt das Gefährt voller Tatendrang ein schmales Bergsträsschen in Angriff. Mit einigen Haarnadeln entsteigen wir dem Talgrund, dann schlängelt sich die Asphaltspur zwischen scheinbar zufällig hingeworfenen Chalet-Streusiedlungen hindurch und schmiegt sich den Bergflanken entlang.

Bereits haben wir wieder die 1’000-Höhenmeter-Marke geknackt, sind also schon wieder in luftigeren Sphären unterwegs. Als wir ein Hochplateau erreichen wird die Szenerie etwas flacher, die letzten zehn Minuten fahren wir einem idyllischen Bächlein entlang langsam weiter nach oben. Schliesslich kündet ein wie eine übergrosse Speerspitze in den Himmel ragender Kirchturm unser Ziel an: die aus mehreren Weilern bestehende Walsersiedlung St. Antönien – so weit von der Zivilisation entfernt, dass sie sich selbst mit dem Spruch bewirbt: “Hinter dem Mond links…”.

Während mein Crossway noch ein, zwei Kilometer weiter ins Tal hinein fährt, bleiben mir ein paar Minuten, um auszusteigen und mich kurz in St. Antönien umzusehen: Wie eine Mondlandschaft sieht es hier allerdings gar nicht aus – vielmehr überzeugt das Nest mit hübschen Häuschen, die eingebettet in saftiges Grün ihren Charme versprühen; all dies versammelt im Schatten einiger beachtlicher Gipfel. Ein richtiges kleines Juwel!
Verantwortlich für dieses zeichnen sich abermals die Walser, welche einst von Davos her über Klosters das gesamte Prättigau besiedelten, und auch St. Antönien erreichten. Viel lief in den darauffolgenden Jahrhunderten nicht: Die Viehhaltung brachte den hiesigen Bauern ein bescheidenes Einkommen, einmal fielen von Schruns her über die Pässe die Österreicher ein, und immer mal wieder rissen Lawinen an den von den Walsern gerodeten Hängen Teile des Dorfes mit sich. Seit 1899 ist St. Antönien von Küblis her mit einer Strasse erschlossen (seit 1952 per Postauto), und hat sich auf einen sanften, naturnahen Tourismus konzentriert: Vor allem Tourenskifahrer, Bergwanderer und Kletterer schätzen die Vorzüge der abgeschiedenen Ortschaft.


Nach zehn Minuten – und damit viel zu bald! – ist mein Postauto vom Kehrplatz zurück, ich steige zur Überraschung des Fahrers wieder zu und wir gondeln zurück ins Tal. Auf etwa halber Höhe steige ich jedoch aus, im Dorf Pany. Nicht Pony, obwohl ich das auch ganz lustig fände (bei dem Stichwort: wer hat Lust auf Kommentatoren-Legende Hans Jucker und seine “schiss Ponys?”), aber weniger schlimm als seine Bezeichnung Pynnuew im 14. Jahrhundert, die mich mehr an die Presslaute eines Verstopfungs-Geplagten erinnern. Das rund 500 Einwohner zählende Pany ist noch immer stark landwirtschaftlich geprägt, hat aber auch eine touristische Seite: Seit 1927 bringt das Postauto von Küblis her Gäste hier hoch, seit 1930 finden diese hier ein Schwimmbad, seit 1955 Skilifte, und seit dem Ende des 20. Jahrhunderts gar ein Reka-Feriendorf vor.


Eine ganze Stunde Aufenthalt habe ich hier. Der einzige Volg des Dorfes hat natürlich über Mittag geschlossen, auch das Reka-Feriendorf macht Pause, dafür ist eine nahe Baustelle umso aktiver und geräuschintensiver. Die ersehnte Mittagsruhe hier oben wird daher nicht ganz so idyllisch wie geplant, dafür kann ich mich mit einem riesigen Chlürlispiel, welches findige Köpfe an der Fassade des Volgs angebracht haben, einigermassen beschäftigen. Und mit dem Fotografieren von Postautos, die das Hangdorf auf verschiedenen Routen passieren.

Dann, endlich, hört man schon von weit her meinen nächsten Bus daherschnauben. Wie ein Staubsauger auf Steroiden klingt das, was sich hier ganz offensichtlich mit einigen Mühen den Berg hinaufrackert, und jeden Moment um die Ecke huschen wird. Welch‘ Überraschung, als es schliesslich soweit ist: Anders als der wirklich immense Geräuschpegel vermuten liess, kommt da kein riesiges Bus-Monster dahergerollt, sondern ein herziger Mercedes-Minibus der Marke Vario. Ein ältlich-ächzender Kleinbus, ein paar schmale Strässchen in Hanglage – das muss ja gut kommen! Und das wird es auch, das kann ich versprechen!

Der Vario hat übrigens nur Geburtsjahr 2009 – der schaut aber definitiv älter aus. Am Steuer sitzt dafür ein junger Chauffeur mit der Aura eines ökovernarrten Hippies, den man eher demonstrierend vor einem AKW oder vielleicht am Steuer eines abgewetzten Surfer-Busses in Kalifornien erwarten würde, als im Dienste der Schweizer Post. Der Uniform-Typ ist er definitiv nicht, doch da hatte er wohl keine Wahl. Auf die Bio-Leinenhosen aus glücklichem Garn und die Korksandalen aus dem Second-Hand-Shop verzichtet er dem Anschein nach wohl nur zähneknirschend der Kleiderordnung wegen. Immerhin bleibt seine wilde Haarpracht im Braveheart-Stil als kleiner Kontrapunkt gegen zu viel Konformität: Die langen, buschigen Haare hat er zu einem beeindruckenden wilden Pferdeschwanz mit Wischmop-Qualitäten zusammengebunden.
Auch der weltweite Online-Datenkrake ist ihm naturgemäss sehr suspekt – und so höre ich fortan mehrfach die Aufforderung, dass sein Name aber auf ja keinen Fotos im Internet auftauchen dürfe. Sorry, an dem habe ich auch wirklich kein Interesse! Da ist mir die prächtige Natur vor den Fenstern tausendmal lieber!
Was der gute Mann trägt und wie er heisst ist natürlich irrelevant, solange er gut fährt und mich dorthin bringt, wo ich geplant habe. Und das tut er, eine sehr sehenswerte Fahrt nimmt ihren Lauf. Eine Art erhöhte Querverbindung zwischen mehreren Terrassendörfern mit schönen Namen wie Putz, Buchen und Lunden, die schliesslich in gemächlichem Sinkflug hinunter nach Schiers führt.

Viermal täglich wird diese exklusive Fahrt angeboten, und ich fragte mich ja schon, an wen sich das Angebot richtet. Bis wir als zweiten Halt das Schulhaus ansteuern, und eine wild durcheinanderquasselnde Rasselbande den Bus bis auf den letzten Platz füllt, die wir fortan auf die vielen angesteuerten Weiler und Einzelhöfe verteilen. Ich fühle mich fast wie an Bord von Ottos Schulbus aus der Simpsons-Serie, der Charakterkopf am Steuer stimmt jedenfalls schonmal überein!
Allzu rassig darf Otto aber nicht fahren, denn auf dem Armaturenbrett warnt ihn in grossen Lettern die aus einem Beschriftungsgerät stammende, forsche Aufschrift: «ACHTUNG TELMA NICHT ÜBERHITZEN!». Telma ist dabei leider nicht meiner romantischen Vorstellung entsprechend ein niedlicher Kosename für das herzige Mercedes-Büsschen, das gerne mal zu heiss hat. Telma bezeichnet nur den eingebauten Retarder, ein elektromagnetisches Bremssystem, welches die konventionellen Bremsen schonen soll. Und offenbar heizen dem die Bergstrecken des Prättigaus etwas über Gebühr ein :-).



Anders als die Telma kann ich die Fahrt allerdings voll und ganz geniessen: Schöne Landschaften, geniale Aussichten, schmale Strässchen, dazu ein handgeschalteter Bus mit ordentlicher Soundkulisse: Was will man mehr! Da ist es jammerschade, dass die Fahrt nach genau 27 Minuten in Schiers bereits ihr Ende nimmt. Doch dort stehen schon die nächsten Kleinbusse bereit, und ich bin ja jetzt auf den Geschmack gekommen. Mehr virtuoses Klimpern auf der Kleinbus-Klaviatur gibt’s daher in der nächsten Episode. Achja, und meine Angst vor dem Prättigraus? Die ist schon längst vergessen!

4 Responses
oehy michael
viele postauto fotos die sich als postkarten motiv eignen würden
Tis
Vielen herzlichen Dank, das freut mich sehr!
Putzi
Super Bericht!
Luzein ist meine Heimatgemeinde.
Das Prättigau ist wunderschön.
Tis
Vielen herzlichen Dank für die lieben Worte, das freut mich sehr!