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Während ich auf das nächste Postauto für meine Rundreise warte, begebe ich mich noch auf eine kurze Entdeckungsreise durch den naturnahen Landschaftspark Binntal. Dann geht’s weiter ostwärts, erst mit einem Minibus und schliesslich wieder zu Fuss: Ich folge der Rhone an urchigen Dörfern vorbei den eindrücklichen Zentralalpen entgegen.
22: Ernen – Binntal – Ulrichen
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
653 | Ernen, Dorfplatz | Binn, Fäld | Setra S313UL | 2005 | Seiler, Ernen | 0:25 | 11,0 |
653 | Binn, Dorf | Ernen, Dorfplatz | Setra S313UL | 2005 | Seiler, Ernen | 0:13 | 8,3 |
655 | Ernen, Dorfplatz | Steinhaus, Dorfplatz | Mercedes-Benz Sprinter 515CDI | 2008 | Seiler, Ernen | 0:08 | 4,0 |
– | Steinhaus, Dorfplatz | Ulrichen, Bahnhof | Zu Fuss | – | – | 3:36 | 15,9 |
English Summary:
Before I can continue onwards from the beautiful town of Ernen, I explore another regional treasure: The very nature-oriented Binntal Valley, which is served by frequent PostBus routes. My yellow Setra bus negotiates some tiny roads that are hugging impressive cliffs, scaring off more than one oncoming motorist. After these nerve-wrecking first minutes the drive becomes more leisurely later on, as we progress deep into the intact nature of the Binntal valley – passing lovely alpine meadows, following a shallow little streamlet and even spotting the odd waterfall along the route. Even the valley’s main town, situated on the sides of a medieval stone arch bridge, proves to be quite picturesque.
I catch the next bus back down to Ernen and transit onto the next vehicle right-away, a tiny Mercedes-Benz Sprinter. This cute little minibus serves the short 8-minute-route to the village of Steinhaus, which is the easternmost outpost of the Valais’ PostBus network.
From here, another 16km hike is required to reach the foot of the Central Alps, where I will meet the busses from other regions of Switzerland which serve the highly popular mountain pass routes. To get there I follow the Rhone upwards. What had been a wide and muddy river at the beginning of my journey through the Valais region is now a crystal-clear, raging mountain stream. Quite fitting for the rugged terrain and the charming rural towns it passes through.
Then, at once, I see it: A massive wall of rock and ice rises in the distance, while a chilly wind engulfs me. Welcome to the Central Alps! I try to think back to generations upon generations of roman legionnaires and medieval merchants who must have stood at that very spot, looked at that same imposing mountain mass before them, and I can almost feel a whiff of their intimidation and insecurity still lingering in the air. Faced with this seemingly insuperable and unforgiving mountain wall they sure must have had their doubts. Will I ever be able to get to the other side? Oh yes, I sure will – the PostBusses will guide the way!
Ich bin im pittoresken Postkartendorf Ernen angelangt und von seinem hübschen Dorfplatz ziemlich verzaubert, doch viel zu bald muss ich weiter. Auf dem Programm steht ein weiterer kleiner Abstecher. Schon wieder eine Extrarunde? Jaaa, aber wirklich nur eine klitzekleine. Und obendrein wurde ich fast dazu genötigt. Die Route, die mich eigentlich auf meiner Reise weiterbringt, wird nämlich nur spärlich bedient, die nächste Fahrt lässt noch ein paar Stunden auf sich warten. Stattdessen lockt gleich ums Eck der Landschaftspark Binntal, der häufiger angefahren wird und perfekt in diese Lücke passt – und erst noch als das «Tal der verborgenen Schätze» beworben wird. Also, adieu Ernen und ab die Post!
Es ist ein weiterer Setra S313UL von Postautohalter Seiler, welcher mich auf dem Dorfplatz von Ernen abholen kommt. Nach ein, zwei gekonnten Manövern lassen wir die engen Gässchen Ernens hinter uns und erklimmen auf einer schmalen Strasse schnell ein paar Höhenmeter. Dann führt die Route ziemlich spektakulär ausgesetzt dem Hang entlang, was die Reise nicht nur für den Chauffeur, sondern auch für die Fahrgäste reichlich unterhaltsam und erlebnisreich macht. Viele Tagestouristen mit ihren Autos kommen uns entgegen, und wie sie beim Anblick des grossen gelben Busses hastig und nervös den Retourgang einlegen, ist ein Schauspiel für sich. Eher eine Tragödie ist, wie schlecht die meisten damit umzugehen wissen – eine Dame braucht ungelogen mehrere Minuten (!), um zwanzig Meter zurückzusetzen, ohne dabei in die Steinmauer auf der einen Strassenseite zu prallen oder auf der anderen Seite hollywoodreif die Klippen hinunterzudonnern. Da bin ich doch froh, vertraue ich mich einem Chauffeur an, der sein Arbeitsgerät auf den Zentimeter genau zu navigieren vermag – auch von dieser Kunst gibt es auf dieser Strecke wieder die eine oder andere Kostprobe.
Schliesslich treffen wir im Hauptort des Binntals, dem Zungenbrecher Schmidigehischere ein, welcher uns abermals mit einem schmucken Dorfkern aus adretten Holzhäuschen begrüsst. Von hier fährt das Postauto nochmals zehn Minuten länger das Binntal hoch, allerdings als “BusAlpin” – unter dieser Marke haben Träger wie der VCS und SAC, unter Mithilfe von Sponsoren wie Migros, Pro Natura oder der Bekleidungskette Transa, einen Busdienst für Bergwanderer ins Leben gerufen. Speziell für Strecken, die zwar zu lohnenswerten Wandergebieten führen, für eine Finanzierung aus dem allgemeinen ÖV-Topf aber nicht wichtig genug sind. Entsprechend verlangt der Chauffeur in Binn für die Weiterfahrt von jedem Fahrgast einen Zuschlag von 3 Franken. Doch den bezahle ich gern, denn so komme ich in den Genuss einer kleinen Extrarunde direkt ins Herzen des Landschaftsparks Binntal.
Die Fahrt durch den Landschaftspark hält durchaus, was ich mir von ihr verspreche. Wir folgen der mäandrierenden Binna in die Höhe, während wir Ausblicke auf schroffe Gebirgslandschaften und tosende Wasserfälle geniessen. Viel zu bald haben wir die Endstation «Fäld» erreicht, von wo ich gemütlich in den Hauptort zurückwandere. Schliesslich ist das hier ja ein vorzügliches Wandergebiet, da will ich nicht einfach durchbrausen – auch wenn es natürlich dabei bleibt, dass ich mich nur auf der Hauptstrasse bewege und deshalb der Diversität des Tales nicht im Geringsten gerecht werde. Aber immerhin habe ich so gleich noch die Gelegenheit, zwei Postauto-Kurse in dieser schönen Landschaft abzulichten.
Leider haben sich bereits hartnäckige Wolken im Tal eingenistet, in der frischen Luft riecht es nach Regen. Das ist zwar durchaus passend für den wildromantischen Charme dieser Gegend, trotzdem nimmt es dem Tal etwas von seinem Glanz. À propos Glanz: Berühmt ist das Binntal bereits seit Jahrhunderten für seine reichen Mineralienvorkommen: 223 verschiedene Minerale konnten hier bisher nachgewiesen werden, zwei Strahler (Kristallsucher) können noch immer von ihren Funden leben. Ansonsten punktet das lange abgeschiedene Tal, das erst mit dem Bau der Strasse 1866 und der Errichtung des ersten Hotels 1883 zaghaft mit dem Tourismus in Berührung kam, vor allem mit seiner extrem diversen Flora und Fauna.
Leider finde ich weder einen Kristall, noch läuft mir eines der hier beheimateten seltenen Tiere über den Weg. Na gut, einen der Stars würde man auch fast nicht sehen: die Rötliche Bernsteinschnecke wird gerademal wenige Millimeter gross. 10,8 Meter lang und daher kaum zu übersehen sind dafür die zwei gelben Setra-Busse, welche sich vor fotogener Kulisse vor meine Linse trauen 🙂
Bevor die Talfahrt ansteht, reicht es noch für einen kleinen Rundgang durchs Hauptörtchen Schmidigehischere, welches sich als äusserst herzeigbar entpuppt. Speziell der Blick über die reissende Binna und die Steinbogenbrücke von 1564 hinweg auf den Dorfkern aus braungebrannten Holzhäuschen weiss zu gefallen. Doch schon biegt mein eben abgelichtetes Postauto um die Ecke und zirkelt sich zwischen den rauen Fassaden hindurch in den Dorfkern – höchste Zeit, zuzusteigen und die Rückfahrt nach Ernen in Angriff zu nehmen.
Zurück in Ernen, erspähe ich bereits den Kleinbus, der nun auf dem dortigen Hauptplatz auf mich wartet: Ein Mercedes-Benz Sprinter 515CDI, das einzige eigene Vehikel von Postauto-Unternehmer Seiler aus Ernen. All die Grossbusse sind nur von der Regie gemietet, werden aber von eigenem Personal gesteuert. Die Hintergründe dieses Konstrukts kenne ich nicht, aber die Erner Einwohner wird das auch nicht gross stören. Sowieso scheint der umtriebige Herr Seiler sehr im Dorfleben engagiert zu sein: Er betreibt auch noch ein Café mit integriertem Sportgeschäft (oder umgekehrt) sowie eine Firma, welche mit Immobilien handelt.
Nun aber subito zurück zu den Seiler’schen Mobilien, also dem gelb-weissen Fuhrpark. Sein kleiner Mercedes-Benz Sprinter bringt mich nämlich ans definitive nordöstliche Ende des Oberwalliser Postautonetzes – und das liegt leider nur zwei Weiler entfernt.
Auf einem sehr schmalen Strässchen schlängeln wir uns hoch über dem Talboden vorwärts. Zuerst passieren wir die beschauliche Gemeinde Mühlebach, die offenbar den ältesten Dorfkern der Schweiz besitzt, und seit wenigen Wochen um eine Attraktion reicher ist: eine 280 Meter lange Hängebrücke überspannt das hier tiefe und enge Rhonetal in 90 Metern Höhe, und gewährt den Bewohnern so raschen Zugang zur Bahnstation auf der anderen Talseite – das Postauto fährt hier schliesslich nur 6 Mal am Tag vorbei.
Nur ein paar Augenblicke, nachdem wir Mühlebach verlassen haben, hat der flinke Minibus schon die nächste Siedlung erreicht: Steinhaus. Der Name ist derweil leicht irreführend: Zwar gibt es immerhin etwa 20 Häuser hier, sie sind aber vornehmlich aus Holz gebaut. Sprachliche Wirrungen hin oder her, die Route ist hier nach 8 Minuten bereits wieder zu Ende und ich muss mit eigener Muskelkraft weiterkommen.
Bis an den Fuss der Zentralalpen müssen mich meine Beine tragen, wo ich dann auf eine der beliebten Postauto-Pässefahrten hüpfen kann. Doch die liegen noch in weiter Ferne – 16 Kilometer sind es, um genau zu sein. Der “Rottuweg” bringt mich, wie der Name schon verspricht, mehr oder weniger direkt dem Rhoneufer entlang weiter nach Osten.
Die Strecke präsentiert sich recht idyllisch, immer wieder warten schöne Blicke auf den Fluss, welcher das ganze Wallis durchfliesst, und hier mehr den Charakter eines wilden Bergbaches zeigt. Zwischendurch beäugen mich neugierige Kühe, es grüssen Bauern, und gut eingerichtete Camper winken aus den Wohnwagen, die die Welt bedeuten. Garniert wird das Ganze von prächtigen Ausblicken hinüber auf die nördliche Talseite, wo urchige Dörfer, die passgenau in die hügelige Topographie eingebettet erscheinen, meine Blicke auf sich ziehen. Hier bin ich nun definitiv in der etwas kargen, aber durchaus charmanten Hochebene des Obergoms angekommen.
Nach Passieren eines sehr ursprünglichen Dorfteils von Reckingen (der einzigen Gemeinde hier, die sich über beide Seiten der Rhone erstreckt) führt der Wanderweg weiter dem Fluss entlang, der sich auch hier oben nicht minder kräftig und reissend zeigt. Wann immer ich die Rhone wieder überquere, blicke ich ehrfürchtig auf die unter mir vorbeipeitschenden Wassermassen, frage mich, wo ihre lange Reise wohl begonnen haben mag, und was sie auf ihrem Weg ans Mittelmeer noch alles sehen werden.
Auch die nächsten Stationen meiner eigenen Reise sind aussergewöhnlich: Mein Weg führt mich direkt an den ehemaligen Reduitflugplätzen Münster und Ulrichen vorbei, welche die Armee im Angesicht des Zweiten Weltkrieges in Rekordzeit aus dem Boden gestampft hat, um auch bei einem Rückzug ins Alpengebiet noch fliegerisch aktiv sein zu können. Die Piste des stillgelegten Flugplatzes Ulrichen (einst der höchstgelegene Flugplatz der Schweizer Luftwaffe) führt mich schnurgerade meinem Ziel entgegen: dem Zentrum des gleichnamigen Dorfes. Und während ich so ostwärts wandere, ziehen langsam immer dichtere Wolken am Himmel auf, die Stimmung wird düsterer und ein giftig-kühler Wind zieht von den Bergen herab ins Tal. Vergessen sind die Hitzetage rund um Sion, nun da Klima und Landschaft im Gleichschritt unwirtlicher werden und sich am Ende des Tales eindrucksvoll das Gotthard-Massiv zu erheben beginnt. Etwas einsam ist es hier, ja teilweise gespenstisch gar – besonders weil Kommisar Wallander in meinem Ohr gerade einem besonders mysteriösen Mörder auf der Spur ist. Da tut es speziell gut, plötzlich ganz leise den wohligen Klang von Alphörnern zu vernehmen. Mit jedem Schritt wird er etwas voller und intensiver, und nach über einem Kilometer erspähe ich schliesslich ein Alphorn-Trio, welches mutterseelenallein an einem See für sich spielt. Eine wahrlich surreale, aber wunderschöne Szene!
Kurz vor Ulrichen schweift mein Blick wieder hoch zum Bergmassiv vor mir. Undurchdringbar scheint es, mit seinen schroffen Felsen und schneebedeckten Flanken. Wie soll ich da je einen Weg hindurch finden? Ich versuche mich kurz in die Lage von römischen Legionären und mittelalterlichen Boten zu versetzen, die schon vor Jahrtausenden am gleichen Punkt gestanden haben dürften, und ebenso ehrfürchtig in die Höhe gestarrt haben werden. Wie die sich wohl, nachdem sie das gesamte Wallis durchquert haben, im Angesicht dieses Massives gefühlt haben? Noch dazu bloss mit Tüchern gewandet und Sandalen besohlt? Sie waren wohl echt nicht zu beneiden. Auch ich weiss noch nicht recht, wie ich einen Weg durch diese monströse natürliche Mauer finden soll. Aber ich bin sicher: Das Postauto wird ihn mir weisen!
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