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Nach einem kurzen Abstecher ins Bergdorf Zeneggen führe ich meine Schweiz-Tour fort. Es geht allerdings nicht einfach auf der Hauptstrasse von Visp nach Brig, sondern auf sehenswerten Bergsträsschen und Wanderpfaden hoch über dem Rhonetal, welche mich an beschaulichen Alpsiedlungen vorbei zum Safranmekka der Schweiz führen.
19: Visp – Zeneggen – Visp – Mund – Brig
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
527 | Visp, Bahnhof | Zeneggen, Kirche | Setra S412UL | 2008 | Autotour, Visp | 0:20 | 9,9 |
527 | Zeneggen, Kirche | Visp, Bahnhof | Setra S412UL | 2008 | Autotour, Visp | 0:22 | 9,9 |
523 | Visp, Bahnhof | Eggerberg, Finnen | Neoplan N313Ü Euroliner | 2004 | Bus-Trans, Visp | 0:36 | 11,5 |
– | Eggerberg, Finnen | Mund, Dorf | Zu Fuss | – | – | 1:30 | 5,0 |
623 | Mund, Dorf | Brig, Bahnhof | Setra S313UL | 2006 | Regie | 0:23 | 10,0 |
English Summary:
I start today’s episode with a short pleasure ride from Visp up to the mountain village of Zeneggen, which I selected mainly for the large amount of hairpin bends along the route. The drive up to 1367 meters above sea level proves to be quite scenic indeed, even if a tad short: After 20 minutes the destination is already reached. A short walk around town reveals no further connections to the Zen Buddhism, even though Zeneggen does indeed seem quite tranquil, relaxed and down-to-earth.
Back in Visp, the next objective is to progress further eastwards on my journey. Easy money basically, as there are frequent direct PostBus connections to the next large town named Brig. However, that’s almost too low hanging fruit for my taste. I therefore look for a more adventurous and scenic connection between Visp and Brig, and it doesn’t take long to find one.
In a first step, I let an old Neoplan bus take me on a thrilling ride up the treacherous narrow roads of the northern slopes of the valley. Its destination is a peaceful alpine pasture called Finnen, located up on 1400 meters above sea level. From there I follow an overgrown dirt track on foot, which besides causing some unwelcome encounters with biting and stinging critters also offers fantastic panoramic views of the Rhone Valley below. After a bit more than an hour of hiking through nature and some lovely alpine hamlets I reach the town of Mund, known best as the only place in Switzerland where saffron is still cultivated. Here, the next yellow bus picks me up and takes me down to the large town of Brig, completing this very scenic detour.
Bevor ich Visp verlasse, muss ich noch eine kleine Extrarunde drehen, denn ich muss unbedingt noch zu einem Nest namens Zeneggen. Wieso? Zum einen finde ich es faszinierend, wie viele Walliser Familiennamen mit Zen beginnen – Zenrufinnen, Zengafinnen, Zenhäusern usw. Vielleicht finde ich ja in diesem Zen-Nest etwas darüber heraus (Antwort: Nein). Und andererseits hatte die Strasse dorthin auf Google Maps einfach die meisten Haarnadelkurven zu bieten 🙂
Am Bahnhof Visp wartet ein Setra-Midibus der Autotour GmbH auf mich und drei weitere Passagiere. Die Autotour GmbH ist ein Zusammenschluss von drei früheren Einzelunternehmern im Postautodienst, mit Betrieben in Bürchen, St. German und eben Zeneggen. Jene Linie wurde im Jahr 1935 kurz nach dem Bau der Strasse erstmals aufgenommen, vom hoch angesehenen Dorfbewohner Kenzelmann mit seinem fünfplätzigen Fiat. An einen ganzjährigen Betrieb war allerdings noch lange nicht zu denken und oftmals musste in der kalten Jahreszeit wieder aufs Maultier umgesattelt werden: Die Gemeinde pflügte die Strasse zwar im Rahmen ihrer Möglichkeiten, aber die bestanden damals bloss aus einem von zwei bis drei Stieren gezogenen Triangel. In den 1950er-Jahren bot Kenzelmann dann erstmals einen ganzjährigen Fahrplan an – doch da das unternehmerische Risiko bei ihm verblieb, frassen die strengen Winter die Einkünfte aus dem Sommer oftmals gänzlich auf. Die Situation besserte sich erst ab 1963, als Kenzelmann sich mit seinem Einmann-Betrieb unter die Schrimherrschaft von Postauto begab – wo er bis heute verbleibt.
Auch heute sind die Kenzelmanns noch im Betrieb aktiv, ein Mitglied der dritten Generation steuert meinen heutigen Bus. Der Chauffeur heisst alle Gäste persönlich willkommen, dann kann die Fahrt losgehen. Schon wenige Minuten nach Verlassen des Visper Bahnhofes finden wir uns auf einer schmalen Bergstrasse wieder, auf welcher Herr Kenzelmann im Minutentakt einen Stopp reissen muss, weil ihm ein Autofahrer etwas gar ungestüm entgegen kommt.

Die Fahrt hält einigermassen was sie verspricht: Eine prickelnde Strassengestaltung mit garantierten Adrenalinschüben, dazu ganz nette Ausblicke hinunter auf Visp. Im Zen-Dorf angekommen, präsentiert sich dieses tatsächlich so friedvoll und ausgeglichen wie die japanischen Zen-Mönche – doch ob die Bezeichnung damit etwas zu tun hat, weiss ich noch immer nicht. Vielleicht mag mich ja jemand aufklären.
Schliesslich finde ich aber doch noch einen Riss in der Hülle der heilen Zen-Idylle: Am Gemeinde-Anschlagbrett erspähe ich den grossflächigen Hinweis, dass die Abfallentsorgungsanlage videoüberwacht werde, und sogenannte Mülltouristen verfolgt und mit bis zu 5’000 Franken gebüsst werden. Bei Mülltouristen handelt es sich übrigens nicht um ein Schimpfwort für schweissgetränkte, sandalenbehufte ausländische Besucher die nicht mehr ganz so gut riechen. Nein, wie der Aushang gleich selbst erklärt, sind damit schlimme Finger gemeint, die ihren Müll ohne Erlaubnis in der zentralen Dorfdeponie entsorgen. Böse, böse! Wie viele Auswärtige wohl extra die dreissig Haarnadeln hochkürveln, nur um ihren Abfall loszuwerden? Aber die Zens werden ja schon ihre Gründe haben.

Weiter hat Zendingsbums nicht allzu viel zu bieten – ein paar Chalets aus Holz zwar, aber das war’s dann auch. Immerhin, eines davon heisst “Chalet Postillon”, was ein Indiz dafür ist, dass hier mein Postauto zuhause ist. Der schlagende Beweis ist dann die auffallend hohe Garage im Untergeschoss. Eine Telefonbuch-Abfrage verrät zudem, dass auch mein Chauffeur hier haust. Keine Ahnung, wie zuträglich diese fehlende Trennung zwischen Wohn- und Arbeitsplatz der Zen-mässigen Work-Life-Balance ist, aber andererseits ist die gren-zen-lose Liebe zu den gelben Bussen ja auch herzig. Als Kind habe ich meine neusten Spielsachen ja auch immer mit ins Bett genommen 🙂
Während die gesamte Dorfbevölkerung (naja, ausser Chauffeur Kenzelmann vielleicht) im schönsten Zwirn der Kirche zuströmt (es ist Samstag-Abend und die Kirchglocken haben die Schäfchen seit 20 Minuten auf den richtigen Pfad zu drängen versucht), muss ich mich bald wieder auf die Socken machen. Die letzte Talfahrt des Postautos für heute steht bevor, und hier oben stranden will ich dann doch nicht – sonst hält man mich am Ende noch für einen Mülltouristen! Ein paar weitere Haarnadeln, ein paar jähe Brems- und Ausweichmanöver mehr, und schon sind wir zurück in Visp.

Visp – Brig auf Umwegen
Von Visp nach Brig fährt jede halbe Stunde ein Postauto. Keine Sache also. Aber auch keine Herausforderung, und schon gar keine Genugtuung. Die Fahrt auf der Schnellstrasse durchs Rhonetal bietet kaum Sehenswertes, denn kaum hat man die Visper Agglomeration hinter sich gelassen, hat man schon die Aussenbezirke Brigs erreicht. Zum Glück gibt es da eine sehenswertere Alternative! Den Auftakt dazu bietet die Linie 523, welche vom Bahnhof Visp die nördliche Flanke des Rhonetals erklimmt und in die Gemeinde Eggerberg fährt. In den Sommermonaten wird die Linie sogar noch verlängert, und steigt ab Eggerberg weiter empor bis zur Alpsiedlung Finnen (oder Finnu im lokalen Dialekt) auf 1400 Metern über Meer.
Am Bahnhof Visp wartet das Postauto schon auf mich. Seine eigenartige Schnauze, die wie ein hervorstehender Unterkiefer anmutet, lässt den Bus zusammen mit seinen schmalen Scheinwerfern in meinen Augen wie ein bekifftes Nilpferd aussehen. Klarer Fall: ein Gefährt aus dem Hause Neoplan, und damit endlich mal wieder ein neuer Bus-Hersteller auf meiner Reise! Genauer handelt es sich um einen N313 Euroliner aus dem Jahre 2004 – ein doch etwas prätentiöser Name für ein Gefährt, das siebzehn Mal am Tag zwischen Kleinstadt und Alpgebiet pendelt.

Das Hippo gehört zum Wagenpark einer Firma namens Bus-Trans, die wie die Autotour weiter oben ebenfalls eine Fusion dreier zuvor eigenständiger Postauto-Halter ist. Erst 2008 entstand sie nach dem Zusammenschluss der Betriebe aus Visperterminen, Ausserberg und eben Eggerberg. Jene Linie nach Eggerberg, die ich nun befahre, bietet durchweg sehenswerte Momente. Schon kurz nach der Abfahrt in Visp präsentiert sich die Strasse doch recht exponiert und eng, und überhaupt wird man stets von der ansprechenden Aussicht hinunter ins Tal begleitet.

Oberhalb des Dorfkerns von Eggerberg verschmälert sich die Strasse zusehends, bis sie schliesslich als schmaler Feldweg über reich beblumte Alpwiesen führt. Während der ganzen Zirkelei hat der Fahrer auch noch die Nerven, mir das in der Ferne thronende Bietschorn zu zeigen – und sogar kurz anzuhalten, damit ich ein verwacklungsfreies Foto machen könne. Das ist halt Postauto-Service!



So vergeht die Zeit wie im Flug (auf dieser schmalen Strasse in luftiger Höhe ist das fast wörtlich zu nehmen) und bald ist Finnu erreicht. Der Chauffeur hat hier 30 Minuten Pause, für mich dagegen geht die Wanderei wieder los.
Vor mir präsentiert sich sogleich die liebliche, beschauliche Alpsiedlung Finnen – hier scheint die Zeit stehengeblieben und der Stress der Moderne Lichtjahre entfernt. Auch eine Wanderweg-Präparationsmaschine hat offenbar noch nie den Weg hierhin gefunden, denn was mir später als offizieller Wanderweg durchs Unesco-Welterbe geboten wird, entspricht im besten Fall einem kaum sichtbaren Trampelpfad durch hüfthohes Gewächs. Eine herzliche Einladung an sämtliches krabbelndes, beissendes und stechendes Getier, über meine Beine herzufallen, denn natürlich bin ich Ignorant in Sport-Shorts angereist; schliesslich haben wir ja Sommer und es ist heiss. Jänu. Augen zu und durch. Immerhin sind die Blumenwiesen, die ich so durchquere, wirklich äusserst hübsch, die Bisse und Stiche lohnen sich also wenigstens.


Nach 20 Minuten geht die Wiese in Wald über – hier sehe ich zahlreiche Eichhörnchen, auch ein Reh ergreift bei meinem Anblick schlagartig die Flucht (kann ich ihm nicht verübeln). Nach der Durchquerung des Waldes wartet eine weitere Blumenwiese, von welcher ein grandioser Ausblick über das Rhonetal zu geniessen ist. Von Visp mit dem Dom im Hintergrund wandert mein Blick bis hinüber nach Brig, welches dank seiner gut sichtbaren Simplon-Nordrampe einfach identifiziert werden kann.


Endlich erreiche ich so etwas wie einen Feldweg, auf welchem ich schneller und mit besserem Gewissen vorankomme. Der Weg führt mich durch die abgelegenen Alpsiedlungen Bodma und Färchu, während mich stets das Plätschern der Suonen begleitet – der altertümlichen Wasserkanäle, mittels welchen man das kostbare Nass von den Bergbächen abgezapft hat, um die hiesigen Äcker zu bewässern. Auch wenn man es nämlich nicht denken würde, dies hier ist eine der trockensten Gegenden der Schweiz!




Nach einer guten Stunde kommt das Ziel meiner Wanderung in Sicht: das Örtchen Mund. Auch dieses hat eine Exklusivität zu bieten: es ist nämlich der einzige Ort in der Schweiz, an welchem (noch) Safran angebaut wird. In Handarbeit werden aus den Blütenfäden jährlich 300 Kilogramm des mit Gold aufzuwiegenden Gewürzes gewonnen. So gibt es denn hier auch das Restaurant Safran und das Safran-Museum, welche ich aber beide links liegen lasse, zumal sich der Tag schon seinem Ende entgegen neigt.
Stattdessen geniesse ich das Schlendern durch die Gässchen mit ihren prächtigen hölzernen Lagerhäusern und Ställen, und lausche dem Alphorn, welches jemand passenderweise gerade spielt. An der Postautohaltestelle noch kurz die lesenswerten Infotafeln verschlungen, die mich aufklären, dass der Dorfname nicht etwa vom Safran stammt, der so hervorragend mundet, sondern auf das lateinische Wort für Berg (mons) zurückgeht.
Viel zu schnell sehe ich auf der gewundenen Strasse, die übrigens erst seit 1978 existiert, mein Postauto den Berg hochkeuchen – einen Setra 313UL der Regie Brig. Und genau dorthin nimmt mich der Bus nun auch gleich mit!



Die Talfahrt nach Brig ist nicht mehr ganz so spektakulär. Zum einen hat sich die Sonne bereits in den Feierabend verabschiedet und weite Teile der Region liegen daher im Schatten der hohen Berge. Zudem wird mir der an sich traumhafte Blick auf mein heutiges Etappenziel stets durch Bäume und Gebüsche zunichte gemacht. Egal, nach 23 Minuten Fahrzeit treffe ich in Brig ein. So kann ich wieder etwas Reise-Fortschritt verbuchen, und erst noch auf die viel schönere Weise als es die Fahrt in der Talsohle gewesen wäre!
2 Responses
Lorenz
Leider sind es nur 1.5–2 kg Safran pro Jahr
Tis
Vielen Dank für die Korrektur! Ich kann leider nicht mehr rekonstruieren, wo ich die Zahl von 300kg herhatte.