54: Frauenfeld – Stein am Rhein – Diessenhofen – Marthalen

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Ich schliesse die Durchquerung des Kantons Thurgau ab, indem ich mich vom Postauto erst zu zwei pittoresken Städtchen am Rhein bringen lasse: Stein am Rhein und Diessenhofen. Von letzterem geht es dann via dem hübschen Dörfchen Stammheim ins landschaftlich reizvolle Weinland des Kantons Zürich.

54: Frauenfeld – Stein am Rhein – Diessenhofen – Marthalen

 

 

Fahrt-Logbuch:

Linie Von Nach Bus BJ Halter Zeit KM
825 Frauenfeld, Bahnhof Stein am Rhein, Bahnhof Mercedes-Benz O530 Ü Citaro 2002 Regie 0:32 17,5
825 Stein am Rhein, Bahnhof Frauenfeld, Bahnhof Mercedes-Benz O530 Ü Citaro 2002 Regie 0:33 17,5
823 Frauenfeld, Bahnhof Diessenhofen, Bahnhof Setra S416NF 2008 Regie 0:37 22,1
823 Diessenhofen, Bahnhof Stammheim, Bahnhof Mercedes-Benz O530 Ü Citaro (facelift) 2007 Regie 0:13 7,3
605 Stammheim, Bahnhof Ossingen, Bahnhof MAN NÜ323 / A20 (Lion’s City Ü) 2009 Richter, Ossingen 0:13 8,0
621 Ossingen, Bahnhof Marthalen, Bahnhof MAN NL323 / A21 (Lion’s City) 2012 Rapold, Rheinau 0:17 8,0

 

 

English Summary:

English Translation - click to view

In today’s episode, I finish the crossing of the canton of Thurgau and finally return to my home territory in the Zurich area. My first bus however is heading due north for half an hour. After climbing some gentle hills and passing through some extensive vineyards we aim for the river Rhine and one of its crown jewels: The medieval city of Stein am Rhein. Being a well-respected ancient market place, Stein am Rhein thrived for centuries and accumulated plenty of wealth. A lot of its former glory is still present, preserved in the stunning façades of the old town’s historic buildings. Many of them are beautifully painted, intricately decorated, or feature other artwork like the oriel windows we already witnessed in St. Gallen a few episodes ago. Together, they turn the pretty little riverside city into an open-air museum that almost transfers you back to medieval times.

After this very rewarding visit I retrace my steps back to Frauenfeld’s main station, where I catch a long Setra bus (my last one) bound for a similar direction. It is headed to Diessenhofen, another pretty town set on the banks of the Rhine which indeed shares a lot of similarities with the city of Stein, but leaves a much more modest impression.

From Diessenhofen I continue onward to the town of Stammheim, which is the first time I’m setting foot into the canton of Zurich again. The winegrowing village welcomes me with a set of beautiful timber-framed houses which are typical for this region. Stay tuned while I explore more of them, plus some other scenic places, in the remaining few episodes!

 

Willkommen zurück im schönen Thurgau! In dieser Etappe werde ich von Frauenfeld zu zwei hübschen Städtchen am Rhein fahren, bevor’s dann langsam aber sicher in Richtung Kanton Zürich und damit in Richtung Heimat geht.

Am Bahnhof Frauenfeld steht schon ein altgedienter Citaro erster Generation bereit, im Jahr 2002 wurde der Bus gebaut. Zusammen werden wir nun 30 Minuten lang ziemlich genau nach Norden fahren, ins Städtchen Stein am Rhein. Wir verlassen Frauenfeld über seine nördlichen Quartiere, überqueren die Thur und lassen dann das Thurtal hinter und unter uns, während wir einen sanften Hügelzug erklimmen und ein Hochplateau erreichen. Hier oben ist das fast schon grossstädtische Frauenfeld rasch vergessen, stattdessen führt uns die Route in weiten Bögen durch grosszügiges Weide- und Ackerland.

 

Adieu, liebe Thur - bis später!
Adieu, liebe Thur – bis später!
Herdern mit Kirche und Schlossturm - letzterer stammt aus dem 12. oder 13. Jahrhundert
Herdern mit Kirche und Schlossturm; letzterer stammt aus dem 12. oder 13. Jahrhundert

 

Auf der Landstrasse unterwegs: Wo sich das Postauto am wohlsten fühlt :)
Auf der Landstrasse unterwegs: Wo sich das Postauto am wohlsten fühlt 🙂

 

Nachdem wir das hübsche Herdern, dessen Skyline aus Kirch- und Schlossturm bereits von weither sichtbar ist, passiert haben, steigt die Strecke abermals an: Die Strasse schneidet quer durch die Weinterrassen, die mittlerweile in den leuchtendsten Herbstfarben erstrahlen. Auch die Aussicht ist von hier oben nicht zu verachten! Bei 609 Metern über Meer (und damit immerhin 200 Höhenmeter über dem Ausgangspunkt) erreichen wir den Scheitelpunkt der Strecke: Von nun an geht’s abwärts, den letzten Ausläufern des Bodensees bzw. dem Rhein entgegen. Wenig später trudeln wir pünktlich am Bahnhofsplatz von Stein am Rhein ein.

 

Fernsicht inklusive...
Fernsicht inklusive…
...und farbenfrohe Rebstöcke noch dazu
…und farbenfrohe Rebstöcke noch dazu

 

Auf aussichtsreichen Strassen unterwegs: Der zwischen Stein am Rhein und Frauenfeld verkehrende Hybrid-Volvo passiert das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Kalchrain - seit über einem Jahrhundert eine Straf- und Erziehungsanstalt
Auf aussichtsreichen Strassen unterwegs: Der zwischen Stein am Rhein und Frauenfeld verkehrende Hybrid-Volvo passiert das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Kalchrain – seit über einem Jahrhundert eine Straf- und Erziehungsanstalt

 

Natürlich mache ich mich sofort auf, um das hübsche Städtchen zu erkunden, denn Stein am Rhein ist eine veritable Perle. Seine Blütezeit nahm ihren Anfang um das Jahr 1000, als das Kloster St. Georgen hierher verlegt wurde und sich darum herum eine kleine Siedlung bildete. Bald schenkte sein Schirmherr dem Kloster auch einen Wohnturm auf einem Felssporn hoch über dem Rhein. Dieser wurde über die Jahrhunderte hinweg immer weiter zur Burg ausgebaut, und thront noch heute hoch über der Stadt. Die bald auf der Burg installierten Vögte und die Ordensbrüder des Klosters leisteten dem Kaiser offenbar gute Dienste, weshalb er sie bald mit Brückenbau- und Zollrechten ausstattete, was Stein am Rhein zu seinem Aufstieg verhelfen sollte: Dank seiner Brücke wurde es rasch zu einem wichtigen Kreuzungspunkt der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Strasse mit dem Ost-West-Wasserweg auf dem Rhein und konnte daher massenhaft Zölle eintreiben.

 

Stein am Rhein liegt mir zu Füssen, dominiert vom Kloster St. Georgen und der Burg Hohenklingen
Stein am Rhein liegt mir zu Füssen, dominiert vom Kloster St. Georgen und der Burg Hohenklingen

 

Man verzeihe mir, dass ich noch ein Bild aus der Piloten-Perspektive einbaue – aber um die einzigartige Anlage des Städtchens zu zeigen, eignet sich dieses einfach perfekt 🙂

 

Der Hexenturm aus dem 14. Jahrhundert
Der Hexenturm aus dem 14. Jahrhundert

 

Burg Hohenklingen: Niemals zerstört, und daher noch immer in ihrer ursprünglichen Form erhalten
Burg Hohenklingen: Niemals zerstört und daher noch immer in ihrer ursprünglichen Form erhalten

 

So wurde Stein quasi steinreich, und im Nebeneffekt auch zu einem vielbeachteten Marktplatz und Handelsstädtchen. Die lokalen Kaufleute liessen die Kassen klingeln und stellten ihren erlangten Reichtum unter anderem mit opulenten Fassadenverzierungen an ihren Wohnhäusern zur Schau, von denen viele bis heute stehen. Und so gibt es im mittelalterlichen Stadtkern rund um den Rathausplatz ein einzigartiges bauliches Ensemble zu bestaunen: Eine Vielzahl an Erkern, Fachwerkmustern und üppigen Fassadenmalereien verschmilzt zu einem wilden architektonischen Potpourri, sorgt für eine ziemliche Reizüberflutung und lässt einem beinahe selbst ins Mittelalter eintauchen.

 

Willkommen in den Gässchen von Stein am Rhein - hier beim Untertor
Willkommen in den Gässchen von Stein am Rhein – hier beim Untertor

 

Der Rathausplatz von Stein am Rhein (SH) - welch farbenfrohes Ensemble!
Der Rathausplatz von Stein am Rhein – welch farbenfrohes Ensemble! Das Haus “Vordere Krone” ganz links stammt aus dem 14. Jahrhundert, der Rote Ochsen daneben datiert aus dem Jahr 1446 und ist damit die älteste Taverne der Stadt

 

"Steinerner Trauben" - ein Wohn- und Handelshaus aus dem 17. Jahrhundert
“Steinerner Trauben” – ein Wohn- und Handelshaus aus dem 17. Jahrhundert
Die prächtige Fassade am Hotel/Restaurant Adler ist als einzige des Städtchens neueren Ursprungs: Sie wurde 1956 von Alois Carigiet geschaffen - genau demjenigen, welcher auch das berühmte Buch "Schellenursli" geschrieben hat. Die Motive zur Rechten stammen allerdings aus dem 16. Jahrhundert.
Die prächtige Fassade am Hotel/Restaurant Adler ist als einzige des Städtchens neueren Ursprungs: Sie wurde 1956 von Alois Carigiet geschaffen – genau demjenigen, welcher auch das berühmte Buch “Schellenursli” geschrieben hat. Die Motive zur Rechten stammen allerdings aus dem 16. Jahrhundert.

 

Auch Zwingli wurde verewigt :)
Auch Zwingli wurde verewigt 🙂
Die Bemalung des Gasthofes zur Sonne spiegelt auch ein Sonnenthema wieder: Die Begegnung des Philosophen Diogenes mit König Alexander dem Grossen. Vom Kaiser darauf angesprochen, was dieser für ihn tun könne, antwortete Diogenes bloss: "Geh mir aus der Sonne!"
Die Bemalung des Gasthofes zur Sonne spiegelt auch ein Sonnenthema wieder: Die Begegnung des Philosophen Diogenes mit König Alexander dem Grossen. Vom Kaiser darauf angesprochen, was dieser für ihn tun könne, antwortete Diogenes ihm bloss: “Geh mir aus der Sonne!”

 

 

Erkerparade mit dem Marktbrunnen
Erkerparade mit dem Marktbrunnen

 

 

Der Rathausplatz in seiner ganzen Pracht
Der Rathausplatz in seiner ganzen Pracht

 

Stein am Rhein (SH) präsentiert sich in voller Pracht
Adieu Stein am Rhein – und danke für die schönen Eindrücke!

 

Der Besuch in Stein am Rhein war also wirklich sehr bereichernd, aber es war eigentlich nur ein kleiner Abstecher. Wirklichen Reisefortschritt brachte er mir nicht. Eigentlich muss ich nämlich ins nächste rheinabwärts gelegene Städtchen, Diessenhofen, denn nur von dort in der Nähe kann ich mich per Postauto weiter in Richtung Zürich durchhangeln. Leider gibt es aber von Stein am Rhein nach Diessenhofen, obwohl die zwei Städte eigentlich Nachbarn sind und nur zehn Kilometer entfernt voneinander am Rhein liegen, keine Postauto-Verbindung – bloss eine halbstündlich verkehrende S-Bahn, aber die bringt mir ja nix. Also hüpfe ich wieder zurück aufs Postauto Nr. 825 (ein weiterer 2002er-Citaro), das mich zurück nach Frauenfeld bringt.

 

 

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Rückfahrt nach Frauenfeld - aus der Ferne grüsst der Säntis
Rückfahrt nach Frauenfeld – aus der Ferne grüsst der Säntis

 

An Frauenfelds Bahnhof angekommen wechsle ich gleich auf den nächsten Bus, welcher nochmals eine kleine Premiere darstellt: Es handelt sich um einen Setra S416, Setras längsten Zweiachser – so einen hatte ich noch nicht im Logbuch. Gleichzeitig wird es aber auch mein 41. und letzter Setra der Reise sein. Schade!

 

Hier ist er, mein erster S416NF
Hier ist er, mein erster S416NF

 

Während den ersten gut zehn Minuten verläuft die Route nach Diessenhofen auf der exakt gleichen Strecke wie diejenige nach Stein am Rhein kurz zuvor. Erst kurz vor Herdern zweigt sie nach links ab, folgt weiter dem Seebachtal und dann gemächlich der Südflanke des Stammbergs entlang in die Höhe. So durchfahren wir Oberstammheim und Unterstammheim, welche bereits zu einem östlichen Zipfel des Kantons Zürich gehören, bevor wir bei Schlattingen wieder Thurgauer Gebiet erreichen.

 

Im Zentrum von Oberstammheim: Die stattlichen Bauten "Alte Kanzlei" und der "Hirschen" stammen beide aus dem 17. Jahrhundert
Im Zentrum von Oberstammheim: Die stattlichen Bauten “Alte Kanzlei” und “Hirschen” stammen beide aus dem 17. Jahrhundert

 

Ausgangs Oberstammheim (ZH). In den Rebbergen thront die Galluskapelle, deren älteste Bauteile auf das 12. Jahrhundert zurückgehen
Ausgangs Oberstammheim. In den Rebbergen thront die Galluskapelle, deren älteste Bauteile auf das 12. Jahrhundert zurückgehen

 

Die Szenerie ist dabei ganz wundervoll: Wir sind an der Grenze des Zürcher Weinlandes und fahren durch kräftig gelblich in der Abendsonne leuchtende Rebhänge, kontrastiert von den dunkleren Brauntönen der herbstlichen Wälder im Hintergrund. Welch eine Pracht! Nur ganz geniessen kann ich die nicht, denn bereits kurz nach der Abfahrt ist wenige Zentimeter über meinem Kopf eine langbeinige Spinne zum Leben erwacht, welche nun die ganze Fahrt über mit der ihr eigenen, ekligen Anmut im bedrohlich nahe über mir installierten, in der Abendsonne besonders heimtückisch glitzernden Netz umherstakst.

 

 

In den Rebbergen unterwegs...
In den Rebbergen unterwegs…

 

 

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Unbeliebter Sitznachbar :)
Unbeliebter Sitznachbar 🙂

 

So bin ich nicht unglücklich, als wir nach 37 Minuten Diessenhofen erreichen und ich den Fängen des achtbeinigen Biests entkommen kann. Diessenhofen ist so etwas wie die vegan-asketische Cousine von Stein am Rhein. Ähnliche Ausgangslage, viel gemeinsame Geschichte, ein vergleichbares Stadtgerüst: Eine Stadtanlage in Mandelform, mit einer längs verlaufenden Hauptgasse und zwei parallel dazu ausgerichteten Nebengässchen. Aber während diese mittelalterliche Stadtanlage bis in die heutige Zeit überlebt hat, fehlt irgendwie das Fleisch am Knochen, bzw. die Opulenz und Strahlkraft der einzelnen Bauten. Dies nicht nur, weil Diessenhofen niemals die beträchtliche Bedeutung ihrer berühmteren Verwandten erlangt hat. Sondern auch, weil auf Phasen intensiver Bautätigkeit immer wieder Feuersbrünste und andere Unglücke folgten, die einen guten Teil des Erschaffenen wieder vernichteten. So geriet Diessenhofen zum Beispiel im Jahr 1799 mitten zwischen die Fronten im Französisch-Russischen Krieg: Die beiden Kriegsparteien zehrten das Dörfchen regelrecht aus, die zurückweichenden Russen steckten schliesslich auch noch Diessenhofens vitale Rheinbrücke in Brand. Herbe Rückschläge, von denen sich die Ortschaft nie mehr ganz erholen sollte.

 

Willkommen in Diessenhofen (TG): Hier in der Vorstadt, betritt man durch den Siegelturm von 1545 den Kern der Altstadt
Willkommen in Diessenhofen: Hier in der Vorstadt, betritt man durch den Siegelturm von 1545 den Kern der Altstadt

 

An der Hintergasse befanden sich einst Handwerksbetriebe und Scheunen - worauf auch das grosse Tor dieses Fachwerkhauses hinweist
An der Hintergasse befanden sich einst Handwerksbetriebe und Scheunen, worauf auch das grosse Tor dieses Fachwerkhauses hinweist

 

In der eigentlichen Altstadt
In der eigentlichen Altstadt

 

Die fünfjochige hölzerne Rheinbrücke aus dem Jahr 1816
Die fünfjochige hölzerne Rheinbrücke aus dem Jahr 1816

 

Zum Rückzug blase nach einer halben Stunde Sightseeing auch ich: Diessenhofen selbst ist nämlich auch eine Endstation des Postauto-Netzes, von hier geht’s nicht mehr weiter. So hüpfe ich auf den nächsten Kurs der Linie 823 Diessenhofen-Frauenfeld – diesmal ein spinnenloser Citaro – und lasse mich zurück ins Zürcherische Stammheim bringen. Dieses war einst ein bedeutendes Weinbauerndorf, das seinen ruhigen bäuerlichen Charakter bis heute behalten konnte und sich mit seinen prächtigen Fachwerkhäusern fein herausgeputzt als kleine Augenweide präsentiert.

 

Blick hinab ins Unterdorf
Blick hinab ins Unterdorf

 

Am Dorfplatz im Zentrum von Unterstammheim
Am Dorfplatz im Zentrum von Unterstammheim
Jaja, die treiben das mit ihrem Fachwerk-Liebhabertum ganz schön weit :)
Jaja, die treiben das mit ihrem Fachwerk-Liebhabertum ganz schön weit 🙂

 

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Im Unterdorf unterwegs

 

Bevor ich allerdings zu lange verweilen und rote Balken zählen kann, fährt schon mein nächstes Postauto vor: Das allererste mit Zürcher Nummernschild (ein Stückchen Heimat!), denn schon meine damalige Abfahrt aus Zürich bestritt ich ja in einem Aargauer Bus. Der MAN NÜ323/A20 (Lion’s City Ü) gehört Postauto-Halter Richter aus Ossingen, und genau dort will ich nun auch hin. Der Betrieb befährt nur eine Linie (Andelfingen-Ossingen-Stammheim), und setzt dafür auch nur diesen einen MAN-Bus ein – immerhin legt dieser aber stattliche 165’000 Kilometer im Jahr zurück, oder 460 Kilometer pro Tag, wie mich die Betriebswebseite aufklärt. Ein 2002er Volvo 8700LE dient als Reservewagen, darüber hinaus verfügt Ossinger auch noch über eine Flotte an diversen Oldtimer-Postautos, welche für spezielle Anlässe vermietet werden.

 

Dieser grosszügige Altbau aus dem Jahr 1804 beheimatet heute ein Alters- und Pflegeheim. Im Hintergrund wartet bereits mein Bus nach Ossingen
Dieser grosszügige Altbau aus dem Jahr 1804 beheimatet heute ein Alters- und Pflegeheim. Im Hintergrund wartet bereits mein Bus nach Ossingen

 

Auch der Chauffeur ist eigentlich ganz nett unterwegs und verabschiedet sämtliche aussteigenden Fahrgäste mit «auf Wiedersehen». Allerdings ist seine Betonung dieses Ausrufs derart schräg, dass dabei stets ein forsch kommandiertes «Wiiiidersä!» rauskommt – was mehr nach einem Schiessbefehl klingt als nach einem freundlichen Abschiedsgruss, und mit der eigentlich geäusserten Hoffnung, die verabschiedete Person bald wieder sehen zu dürfen, höchstens noch peripher zu tun hat. Sehr wahrscheinlich bin ich mir nach meiner Tour de Suisse aber einfach die rauen Zürcher Sitten, Gebräuche und Dialekte nicht mehr gewohnt, da mich das erlebte Bergidyll irgendwie zu fest entschleunigt und verweichlicht hat.

Die Fahrt ist soweit ganz nett, wenn auch nicht weiter spektakulär. Wir fahren im Zickzack die Bauerndörfer Gultalingen, Waltalingen und Gisenhard an, die allesamt mit ein paar hübschen Riegelhäusern brillieren. Das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder attestiert Waltalingen gar einen «Bäuerlichen Ortskern mit eindrücklichen Fachwerkbauten und (…) spannungsvolle Sichtbezüge zum über dem Ort thronenden Schloss». Die Sichtbezüge erschliessen sich leider bei Tempo 80 nicht wirklich aber ja, das Schloss habe ich kurz erspäht. Geht halt alles noch etwas schnell für mich Rückkehr-Zürcher.

 

Schloss Schwandegg bei Waltalingen, aus dem 13. Jahrhundert
Schloss Schwandegg bei Waltalingen, aus dem 13. Jahrhundert
Im Zentrum von Oberneunforn (TG)
Im Zentrum von Oberneunforn (TG)

 

Am Bahnhof Ossingen habe ich dafür viiiiiiel Zeit, um das Gesehene zu verdauen, denn ich steige hier aus und lasse den MAN (vorübergehend) alleine nach Andelfingen weiterfahren. Ich habe noch einen Abstecher ins idyllische Dörfchen Marthalen und zu weiteren baulichen und natürlichen Highlights geplant. Mit dem typisch-forschen «Wiiidersä!» werde auch ich aus dem Bus komplimentiert und am ziemlich verlassenen Bahnhöflein mir selbst überlassen. Und das für eine ganze Weile: Bis das nächste Postauto in Richtung meines Wunschziels Marthalen vorbeikommt, wird es nämlich 51 Minuten dauern! Ganz offensichtlich haben die Fahrplan-Macher nicht wirklich mit Umsteigepassagieren auf dieser Postauto-Verbindung gerechnet (normale Menschen nähmen auch einfach den Zug…).

 

Ab geht's nach Ossingen...
Ab geht’s nach Ossingen…

 

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Ossingen ist erreicht, auch hier dominiert das Fachwerk!
Ossingen ist erreicht, auch hier dominiert das Fachwerk.

 

Schliesslich ist es dann aber soweit: Ein MAN NL323 / A21 (Lion’s City) mit Jahrgang 2012 biegt um die Ecke, der neuste von insgesamt drei solchen Bussen in der Flotte von Postauto-Halter Rapold aus Rheinau. Weiter spektakulär ist die Route von Ossingen nach Marthalen dann aber nicht: Sie beschreibt eine weite Kurve, um die Dörfer Truttikon, Trüllikon und Oerlingen zu bedienen, die mit ihrem bäuerlichen Charakter und dem einen oder anderen Riegelhaus zwar ganz charmant sind, aber halt auch nicht mehr.

 

Truttikon im Visier
Truttikon im Visier
Im Zentrum von Oerlingen
Im Zentrum von Oerlingen

 

Nach 17 Minuten Fahrt treffen wir schliesslich am Bahnhof Marthalen ein. Der steht selbst noch nicht lange hier, wurde er doch erst im Jahr 2014 um 400 Meter verlegt und neu gebaut. Von den erhöht gelegenen Gleisanlagen des nüchternen Betonkonstrukts bietet sich denn auch ein gluschtig machender Blick auf drei Postautos – das lädt zu Entdeckungsreisen ein. Ihr könnt also gespannt sein, wo es in der nächsten Episode noch überall hingeht!

 

In Trüllikon ist man wild auf Wild...
In Trüllikon ist man wild auf Wild…
...mag's aber sonst eher beschaulich
…mag’s aber sonst eher beschaulich

 

Neu gebauter Bahnhof Marthalen: Drei Postauto-Linien laden zu Entdeckungsreisen ein!

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