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Erst geht’s von Landquart durch die pittoresken Rheintaler Weinberge nach Bad Ragaz. Dann entscheide ich mich, die Geschichte des berühmten Kurortes per Postauto aufzurollen: Ich lasse mich erst hoch zur Abtei Pfäfers bringen, und dann mit dem «Schluchtenbus» auf einer eindrücklichen Fahrt durch die wilde Taminaschlucht bis zu den heissen Quellen, die am Ursprung von Bad Ragaz’ Erfolgsgeschichte stehen.
46: Landquart – Pfäfers – Bad Ragaz – Taminaschlucht
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
022 | Landquart, Bahnhof | Bad Ragaz, Bahnhof | MAN 14.290HOCL / A66 Lion’s City | 2009 | Gessinger, Landquart | 0:34 | 15,4 |
451 | Bad Ragaz, Bahnhof | Pfäfers, Post | Setra S412UL | 2008 | Gessinger, Landquart | 0:19 | 6,4 |
451 | Pfäfers, Post | Bad Ragaz, Bahnhof | Setra S412UL | 2008 | Gessinger, Landquart | 0:19 | 6,4 |
453 | Bad Ragaz, Bahnhof | Pfäfers, Altes Bad | Neoplan N312K Transliner | 2004 | Gessinger, Bad Ragaz | 0:16 | 4,8 |
453 | Pfäfers, Altes Bad | Bad Ragaz, Zentrum | Neoplan N312K Transliner | 2004 | Gessinger, Bad Ragaz | 0:14 | 4,4 |
English Summary:
Today’s episode starts in Landquart, which is by many considered the gateway to the Alps. However, for me it’s just the opposite, as my onward journey from here will lead mainly through flat(ter) lands. My enthusiasm therefore isn’t overly huge as I enter the first bus, but the melancholy is soon blown away. Shortly after departing from Landquart we start a gentle climb and soon find ourselves amidst extensive vineyards, passing through a couple quaint villages and taking in the beautiful views.
After half an hour, we reach the town of Bad Ragaz, which in medieval times evolved from being just another tiny farm village into a spa resort centering around hot springs, known well beyond the Swiss borders. Fascinated by its cometlike rise to fame, I’m trying to use the PostBusses to dig a bit deeper into its history and discover more of the local countryside at the same time. I first take a bus up to the hillside town of Pfäfers, which is dominated by a giant monastery whose monks originally discovered the hot springs and thereby got the whole hype about Bad Ragaz all started.
The springs themselves are located deep inside a very narrow gorge – and believe it or not, they are served by a PostBus, too! This exceptional route travels on a gravel road that is closed to all other traffic, closely following the raging Tamina river all the way to its origin. There, visitors can stroll through the old baroque bath house and explore the even narrower, darker centrepiece of the gorge. What a fantastic experience – also proving to myself that PostBus routes don’t necessarily have to rely on mountain roads to be amazing :-).
Am Bahnhof Landquart wartet an diesem Morgen ein doppelter Zwitter auf mich. Von aussen scheint es ein MAN-Bus zu sein, doch eigentlich stammt der Aufbau im Lion’s City Design von Karrosserie-Spezialist Göppel. Zudem trägt das Teil Bündner Nummernschilder, obwohl der Bus von der eigentlich im St. Gallischen Bad Ragaz beheimateten Gessinger AG betrieben wird. Reichlich verwirrend also, doch aller halben Sachen zum Trotz: Mein Abschied aus dem Postauto-Mekka Graubünden steht fest, und lässt sich nicht mehr hinauszögern. Etwas Flachlandkoller habe ich ja schon, da hilft weder der Bahnhofs-Supermarkt, der an seiner kühlen Glasfassade “Frische, Qualität und Gastfreundlichkeit” verspricht, noch das scheussliche Hochhaus, unter welchem mein Bus parkiert. Naja zwar, vielleicht könnte ich ja in den obersten Stock klettern, und von dort oben die Berge sehen, wie unser Schweizer Heidi in Frankfurt? Dass mir unser literarischer Hauptexport gerade jetzt in den Sinn kommt, ist übrigens auch nicht zufällig: in Heidis Heimatdorf kommen wir heute auch noch vorbei.
Also auf zu neuen Ufern, oder besser Strecken! Und die erste soll mich nach Bad Ragaz bringen. Der Zug benötigt für diese Verbindung vier bis sechs Minuten, im Postauto sind es 39. Das klingt verdächtig, da muss es wohl die eine oder andere Extrarunde geben! Und so ist es auch. Statt auf der Hauptstrasse dem Rhein entlang nach Norden zu düsen, verlassen wir Landquart in Richtung Osten, biegen fast schon wieder ins Prättigau Richtung Klosters und Davos ab, und bedienen erst einmal die am Taleingang gelegene Ortschaft Malans. Von dort geht es an der östlichen Flanke des Rheintals entlang der Topographie folgend sanft in die Höhe, bis wir von Rebbergen umgeben sind. Ich fühle mich fast schon ins Wallis zurückversetzt!
Und die Ostschweizer scheinen es mit dem edlen Traubensaft genauso ernst zu meinen wie ihre Kollegen im Westen: Im Dorf Jenins scheint es mehr Winzerbetriebe als Wohnhäuser zu geben, und zahlreiche Infotafeln klären mich über die Geschichte des Weinbaudorfs auf. Lesen kann ich davon in voller Fahrt natürlich nichts, nur eine Überschrift bleibt hängen: “Den Weinkeller nennt man hier Torkel”. Die Erklärung dazu rauscht viel zu schnell an meinem Busfenster vorbei, aber vor dem geistigen Auge kann ich mir die Szene eigentlich ziemlich gut ausmalen.
Die Fahrt bleibt einigermassen sehenswert, die nächste Ortschaft Maienfeld überzeugt neben ihren Trauben (hier soll das älteste noch aktive Weingut Europas liegen!) auch mit ihrem historischen Dorfkern, der sich doch als recht schmuck präsentiert. Sogar ein Schloss gibt es hier, doch sein wuchtiger steinerner Turm rauscht auch etwas zu schnell an meinem Fenster vorbei – ich muss mich wohl erst wieder an die Fahrtempi des Flachlands gewöhnen
So einfach lasse ich mir – und euch, meine lieben Leser – dieses kleine Schmuckstück allerdings nicht entgehen. Und so besuche ich Maienfeld etwas später erneut. Zwar zeigt sich das Städtchen nun bereits inmitten einer bunten Herbstszenerie, doch ich hoffe, ihr lasst euch davon nicht stören – genauso wenig wie bei den Fotos aus Jenins, die ich weiter oben bereits reingeschmuggelt habe. Ansonsten bleibt zu Maienfeld noch anzumerken, dass es als Schauplatz des Heidi-Romans von Johanna Spyri gilt – aber das habt ihr bestimmt schon gewusst.
Nach der Durchfahrt von Maienfeld feiere ich das Wiedersehen mit den Wassern des Rheins, die mich schon in den ersten Etappen meiner Reise im Aargau begleitet haben, deren einen Zufluss ich nach dem San Bernardino-Pass wieder traf, und die auch bis zum Ende meiner Tour immer wieder eine Rolle spielen werden. Wir überqueren den mittlerweile ansehnlich breiten Strom, und schwupps, sind wir in Bad Ragaz.
Ragaz (damals noch ohne Bad) war lange ein Bauerndorf, obwohl die Lage an einer geschäftigen Verbindung zwischen Deutschland und Italien die Ortschaft bereits im Mittelalter auszeichnete. Richtig Schwung in seine Geschichte kam allerdings erst, als Ragaz sich einen Namen als einer der weltweit führenden Kurorte machte. Rasch schossen diverse Pensionen, Bäder und gar Grand Hotels aus dem Boden, deren Gebäude dem Ort bis heute eine gewisse Noblesse verleihen und auch dem Ortsnamen den geschätzten Zusatz “Bad” einbrachten.
Und wem hat Bad Ragaz das alles zu verdanken? Den Mönchen des nahegelegenen Benediktinerklosters Pfäfers. Netterweise lassen sich die Schauplätze dieser Geschichte auch per Postauto erreichen und so bitte ich zu einem kleinen Exkurs: Folgen wir der Spur des Thermalwassers!
Am Bahnhof Bad Ragaz hüpfe ich dafür in einen knuffigen Setra S412UL, welcher ebenfalls von Postauto-Halter Gessinger betrieben wird – als erster Bus auf meiner Reise allerdings mit St. Galler Kennzeichen. Als veritable gelbe Karawane verlassen zeitgleich drei Postautos den Bahnhof, doch bald teilen sich ihre Wege in alle Himmelsrichtungen. Wir durchfahren zuerst Bad Ragaz selbst, spielen den Ortsbus und fahren dann frech zwischen Maybachs und Hummern vor dem Thermen- und Casinokomplex vor. Jaja, das Postauto schreckt auch vor den erlauchten Kreisen nicht zurück! Bald jedoch kann es wieder dorthin zurückkehren, wo es sich am wohlsten fühlt: Auf die Landstrasse und in diesem Fall sogar eine ganz schön steile, enge und kurvige.
In mehreren Serpentinen kämpfen wir uns die bewaldete Talflanke hoch und erreichen nach kurzer Fahrt, 350 Höhenmeter über unserem Startpunkt, das Dörfchen Pfäfers. Dieses wird dominiert vom wuchtigen Barockbau des ehemaligen Benediktinerklosters. Bereits im Jahr 731 wurde dieses gegründet und es war für die weitere Geschichte der Region von grosser Bedeutung. Die Mönche von Pfäfers waren es nämlich, welche irgendwann ums Jahr 1240 per Zufall tief drin in der nahen Taminaschlucht (wir kommen noch dazu…) über eine warme Quelle stolperten, deren heilende Wirkung sie geschickt auszunutzen und zu vermarkten wussten.
Die Mönche betrieben das Kloster fortan mehrere Jahrhunderte lang als Heilanstalt, hiessen Kranke willkommen und liessen diese an Seilen in die Schlucht hinab, wo sie im 36,5 Grad heissen Wasser ihre Gebrechen kurieren konnten. Und weil dieser Transport so beschwerlich war, liess man sie meist auch gleich eine Woche unten. Etwas später bauten die Mönche ihren Patienten dann wenigstens eine Holztreppe mit 250 Stufen. Wie viel dies den gebrechlichen Gästen wirklich brachte, sei dahingestellt – aber vielleicht war’s ja eine Art natürliche Selektion, die sicherstellte, dass nur die Gesundeten der Schlucht entstiegen 🙂
Nach diesem Kurzbesuch in Pfäfers will ich natürlich auch noch den zweiten Schauplatz der Geschichte besuchen: Die Taminaschlucht mit dem Thermalwasser. Allerdings benütze ich dafür nicht das Seil und mit Treppensteigen mühe ich mich schon gar nicht ab. Ich benutze stilvoll das Postauto! Nach einer blossen Viertelstunde in Pfäfers kommt mich schon der Gegenkurs abholen, ein weiterer Setra S412UL in Richtung des Bad Ragazer Bahnhofs. Schade, ich wäre gerne länger in Pfäfers geblieben, wenn ich denn Zeit gehabt hätte – weiter hinten im Taminatal soll’s ja auch sehr schön sein. So war der Besuch etwas gar kurz, aber immerhin schenkte mir Pfäfers zum Abschied noch ein paar glanzvolle Panoramen des Rheintals.
Genauso flink, wie ich nach Pfäfers gelangt war, gestaltet sich auch die Rückfahrt zum Bad Ragazer Bahnhof. Dort steige ich um und freue mich auf eine ziemlich spezielle Strecke. Speziell lang ist auch die Schlange wild gackernder Fahrgäste an der Haltestelle, die auf meinen Bus warten – offenbar gibt’s in der Schlucht wirklich was zu sehen!
Also, alles Einsteigen bitte in den sogenannten «Schluchtenbus»! Heute gespielt durch einen kleingewachsenen Neoplan-Transliner mit markant hervorstehendem Kinn, den N312K, pilotiert von einem sehr kauzigen aber durchaus freundlichen Busfahrer – eine Kreuzung aus Peter Lustig und Willie Nelson.
Schluchtenbus heisst das Gespann, weil es auf einer schmalen, ansonsten für Motorfahrzeuge gesperrten Strasse in die Taminaschlucht hineinfährt, bis zum historischen Bad von Pfäfers. Die Strecke ist dabei wirklich sehr reizvoll. Steil ragen die Wände links und rechts empor, in der Talsohle ist gerade so knapp Platz für die wild rauschende Tamina und die schmale Strasse, auf welcher sich unser kurzer Bergbus mit Jahrgang 2004 bestens bewährt.
Später gewinnt das Strässchen etwas an Höhe, was noch bessere Ausblicke auf den Fluss ermöglicht. Für rund 50 Meter ist die Fahrstrecke dabei quasi in den vertikalen Fels gemeisselt und beschreibt an dieser Stelle auch noch eine recht enge Kurve. Kein Wunder heisst die Stelle “Verzweiflung”, wie uns der Fahrer, der dafür extra zum Mikrofon greift, in seinem dicken Bündner-Dialekt wissen lässt. Bei dieser Gelegenheit informiert er uns auch, dass in wenigen Sekunden das alte Bad von Pfääääääfers erreicht sein wird, während er von den zwei an Bord befindlichen Altersheim-Reisegruppen tosenden Applaus für seine Fahrleistung erhält. Die hätten mal die Derborence sehen sollen…!
Das alte Bad selbst ist dann allerhöchstens das i-Tüpfelchen, die Fahrt war für mich definitiv die Hauptattraktion. Das alte Bäderhaus gilt zwar als eine der wichtigsten historischen barocken Bäderbauten der Schweiz – mit seinem eher kargen, kalten und etwas steril wirkenden Innern vermag es mich aber weniger zu begeistern als seine eigenartige Lage mitten in der Schlucht, welche es in ihrer Breite nahezu ausfüllt. In Betrieb ist das Bad allerdings nicht mehr: Als im 19. Jahrhundert das Kloster Pfäfers geschlossen wurde, machte man nämlich auch dem hiesigen Bad den Garaus. Stattdessen wurde das Quellwasser hier gefasst und per Leitung ins Zentrum von Bad Ragaz befördert. Dort entstanden rund um die neue “Quelle” bald renommierte Bäder und angegliederte Luxushotels – was schliesslich den kometenhaften Aufstieg des einstigen Bauerndorfs in die Topliga internationaler Wellness-Destinationen auslöste.
Doch die Hauptattraktion kommt ja erst noch! Auf einem 600 Meter langen, direkt in die zerklüfteten Felswände gehauenen Fusspfad gelangt man hinein in die mittlerweile auf wenige Meter Breite geschrumpfte Taminaschlucht. Tageslicht dringt kaum welches bis hierher durch, man wandert im schummrigen Schein einiger gelblicher Lampen. Direkt neben einem tost dabei die reissende Tamina, ihre Gischt hängt wie Nebel in der Felsspalte. Eine eindrücklich gespenstische, ja nahezu magische Stimmung. Und wieder so ein versteckter Schatz, zu dem mich das Postauto erst hingeführt hat!
Über die letzten hundert Meter verläuft der Pfad in einem engen Felstunnel. War es zuvor in der Schlucht drin noch angenehm kühl, wird es nun mit jedem Schritt heisser und schwüler. Kein Wunder, denn am Ende wartet die heisse Taminaquelle, deren 36,6 Grad warmes Wasser hier aus dem Fels sprudelt.
So folge auch ich dem Wasser wieder talauswärts und lasse mich vom Schluchtenbus zurück nach Bad Ragaz chauffieren. In dessen Zentrum angekommen, kann ich nach den Ursprüngen (beim Kloster) und den Anfängen (in der Schlucht) nun auch noch das beachtliche Endprodukt der Ragazer Bäderentwicklung begutachten. Als man im Jahr 1840 nämlich das Quellwasser aus der Schlucht nach Ragaz geleitet hatte, dauerte es nicht lange, bis ein Visionär auf den Plan trat: Architekt Bernhard Simon transformierte das Bauerndorf in eine veritable Wellnessoase mit verschiedenen Bädern, zwei Grandhotels – und einem Dorfbad, damit auch die normale Bevölkerung etwas davon hatte.
Das Konzept schlug ein wie eine Bombe und bald war Bad Ragaz europaweit in aller Munde: In der Belle Époque war es einer der Places to be für die Gutbetuchten von Moskau bis London. Und wenn man so durch die Strassen Bad Ragaz’, am alten Dorfbad vorbei zum Park der Grand Hotels wandelt, kann man mit ganz viel Vorstellungsvermögen und Fantasie noch ein Spürchen von der einstigen Noblesse erahnen…bis der nächste pechschwarze Bentley einem wild hupend jäh in die Gegenwart zurückreisst, weil man seinen Träumereien blöderweise mitten in der Einfahrt des exklusiven Luxushotels nachgehangen hat.
2 Responses
P.Roth
Pfingsten ist vorbei und ich bin am Ende der Postautoreise. Es hat mich sehr begeistert und ich hoffe, dass es in Ordnung war, den Link auf TripAdvisor einzustellen, für alle Touris, die noch nicht in die Schweiz reisen können, aber gerne möchten. Ein paar Reaktionen hat es schon gegeben
https://www.tripadvisor.com/ShowTopic-g188045-i336-k13309894-45_days_around_Switzerland_by_PosBus-Switzerland.html
Tis
Vielen herzlichen Dank für Ihre liebe Nachricht! Es freut mich, dass ich Ihnen mit meinem Blog das Pfingstwochenende versüssen konnte. Und ein paar Beiträge stehen ja noch zur Veröffentlichung bereit, falls wieder einmal ein verregnetes Wochenende vor der Tür steht :-). Danke auch für die Erwähnung auf Tripadvisor. Das ist natürlich höchst willkommen und es freut mich, wenn mein Blog so einem grösseren Publikum zugänglich wird und mehr Personen inspirieren kann!