Lesezeit: ca. 6 Minuten
Mit der Fahrt von Zernez über den Flüela nach Davos bestreite ich meine letzte veritable Passfahrt und knacke auch ein letztes Mal die 2’000-Höhenmeter-Marke. Auf der anderen Seite der durchaus sehenswerten Route empfängt mich die höchstgelegene Stadt der Alpen mit ihrer beeindruckenden Geschichte.
43: Zernez – Flüelapass – Davos – Klosters
Fahrt-Logbuch:
Linie | Von | Nach | Bus | BJ | Halter | Zeit | KM |
331 | Zernez, Staziun | Davos Platz, Bahnhof | Setra S415H | 2013 | Regie | 1:10 | 35,7 |
– | Davos Platz, Bahnhof | Klosters Platz, Bahnhof | Zu Fuss | – | – | 2:14 | 11,6 |
English Summary:
You could say that this is the start of a long way home: As I depart from Zernez heading for Flüela Pass, leaving behind the Engadin valley and all the lovely mountains of the region, it’s the first time that my bus points somewhere in the direction of home. Still there are more than a dozen episodes to follow, but already a slight feeling of melancholy sets in.
The weather reflects this mood fairly well, as my passage of the Flüela Pass is accompanied by frequent cloudy spells. Hence the scenery of this last major mountain pass in my itinerary isn’t just as compelling as I had hoped. Overall it’s still pretty scenic though, especially at the summit where we briefly park and get the chance to gaze over the two beautiful lakes which are framed by a couple of imposing mountain peaks.
After speeding down the northern slopes of the pass, we soon reach Davos – the highest city of the Alps residing at 1’560 meters above sea level. In contrast to all the picturesque and charming villages I passed before, Davos’ seemingly chaotic jumble of concrete apartment blocks almost disgraces the pretty mountain scenery it is set in. It appears like the city, which originally skyrocketed to international fame as a sanatorium for lung diseases thanks to its clear mountain air, has fallen victim to its own success. With ten thousands of tourists heading for Davos thanks to its extensive ski slopes or its world-renowned conferences, it has long since lost the appeal of a typical mountain town. And with many of the clinics that countries like Germany or the Netherlands had established in Davos’ heyday having been closed for quite some time, the city has lost quite a few of its crown jewels. And so, while its rise to fame is definitely interesting to read about, there isn’t a whole lot to keep me here longer.
Instead, I set out for the next hike in my itinerary: The 2-hour walk thankfully takes me to some more idyllic places: I first stroll along the shores of Davos’ lake and then proceed to the little hamlet of Laret, which features its own little beautiful pond. Finally I reach my next destination, Klosters – the resort town being a kind of mini version of Davos, albeit with slightly more charm.
Willkommen zurück auf der Postauto-Schweiztour! In der letzten Episode habe ich ja noch das Engadin genauer erkundet, und besonderen Gefallen an seinen hübschen Dorfkernen und traditionellen Häusern gefunden. Guten Gewissens kann ich es nun also hinter mir lassen, und zurück nach Westen aufbrechen. Dafür wähle ich von Zernez aus die Route über den Flüelapass in Richtung Davos.
Da der Flüela nicht den gesamten Alpenkamm quert sondern „nur“ ins Engadin führt, hatte er nie die gewichtige Bedeutung eines Septimer- oder Splügenpasses. Selbst wer in Richtung St. Moritz oder Bernina wollte, wählte meist den leicht südlich gelegenen Scalettapass. Nur in Richtung Münstertal, Tirol und Vinschgau stellte der Flüela den kürzesten Weg dar – und wurde daher öfters begangen, als das Vinschgau zu Graubünden gehörte: Vieh und Butter wurden über den Pass exportiert, Salz und Korn importiert. Seine wirkliche Blüte erlebte der Flüela aber erst, als der Tourismus im Engadin so richtig Fuss fasste. Aufgrund der beträchtlichen Lawinengefahr war der Flüela aber gerade in den touristisch wichtigen Wintermonaten stets etwas unberechenbar und borg ein gewisses Restrisiko. Daher entstand als Alternative im Jahr 1999 der Autoverlad durch den Vereina-Bahntunnel, welcher dem Flüela einen beträchtlichen Teil seiner Bedeutung nahm. Immerhin: Durch den Tunnel muss ich nicht. Auch heute noch fährt das Postauto nämlich sechsmal täglich über den Pass, und genau davon mache ich Gebrauch. Zum Einsatz kommt in meinem Fall ein erst zweijähriger Setra S415H der Regie Graubünden.
Die ersten paar Kilometer zeigt sich das Engadin nochmals von seiner schönsten Seite: Die Strasse führt dem fröhlich vor sich hin mäandrierenden Inn entlang. Dann, beim Dörfchen Susch, lassen wir diesen rechts liegen und starten den Aufstieg. Ein paar eng gestaffelte Haarnadeln führen uns im Nu’ aus dem Engadiner Talkessel, dann folgen wir den Flanken des Val Susasca in Richtung Westen. Unter uns windet sich verspielt das namensgebende Flüsschen Susasca, ja gar ein Auengebiet von nationaler Bedeutung ist so entstanden.
Fast unbemerkt, und ohne zu grosse Kurvereien, gewinnt die Strasse weiter an Höhe, bis wir schliesslich nach einem letzten Paar Haarnadeln die bekannte Passhöhe erreichen: Auf einer Art Damm fahren wir zwischen dem Lai da la Scotta zur Linken sowie dem Lai Nair zur Rechten auf das stolze Hospiz zu. Erbaut wurde dieses zwei Jahre nach Eröffnung der Passstrasse, 1869, von einem Davoser Hotelier. Insbesondere zwischen den zwei Weltkriegen steppte hier der Bär, als immer mehr Touristen die Alpen entdecken wollten. Und während im Zweiten Weltkrieg zwar der Tourismus zum Stillstand kam, nutzte die Schweizer Armee das Hospiz als Unterkunft für hundert Soldaten.
Besondere Bedingungen herrschten auch 1939: Die Maul- und Klauenseuche war ausgebrochen, und der Pass wurde deshalb gesperrt. Einzig die Postautos durften passieren – die Chauffeure durften aber nicht aussteigen, sondern die Post nur zum Fenster hinaus übergeben. Da haben wir es besser: Der Fahrplan erlaubt einen kurzen Halt, während welchem wir aussteigen und den Blick auf die beiden Seen sowie den imposanten Piz Nair geniessen können.
Es fällt mir schwer, wieder einzusteigen. Denn ich fürchte, dass die erreichten 2’383 Meter über Meer der letzte Punkt über der 2’000-Meter-Grenze auf der gesamten verbleibenden Schweiz-Tour gewesen sind – und der Flüela der letzte veritable Pass auf meiner Reise. Von nun an geht’s nur noch bergab – hoffentlich nicht zu sprichwörtlich! Entsprechend missmutig lasse ich mich daraufhin durch das zumeist karge Flüelatal in Richtung Davos kutschieren.
Ankunft in Davos. Nach all den charmanten Dörfchen im Puschlav, im Müstair und gar im Engadin, kommt mir die höchstgelegene Stadt Europas wie ein gesichts- und charakterloser Moloch vor. Während wir die Promenade (was nach verträumtem Schlendern klingt, ist in Tat und Wahrheit einfach die vielbefahrene Hauptstrasse) entlangfahren, reiht sich Sportgeschäft an Bank an Immobilienverwaltung an Modeboutique an…genau, Sportgeschäft. Die Abfolge wird ziemlich bald ziemlich monoton, genauso wie die zumeist lieblos hingeworfenen Betonblöcke, in welchen sich die immergleichen Geschäfte befinden. Für etwas Auflockerung sorgen einzig ein Laden für Tiernahrung (welcher gleichzeitig einen Schlüsseldienst anbietet), ein Büchergeschäft, sowie alle zweihundert Meter ein Café. Schliesslich nennt sich der Flecken ja Promenade, und abgehärtete Stadtzürcher werden bei ihrem Cappuccino an der Sonne die Abgase der an ihnen vorbeiziehenden Autokolonne wohl auch tatsächlich gar nicht wahrnehmen, sondern die frische Alpenluft rühmen.
Für die gute Luft ist Davos aber wohlbekannt: In den 1850er-Jahren entdeckten erste Ärzte, wie heilsam die erregerarme und milbenlose Höhenluft für Lungenkranke ist, und Berichte einiger Wunderheilungen machten europaweit die Runde. Rasch schossen die Sanatorien wie Pilze aus dem Boden, 50 an der Zahl! Staaten wie Deutschland oder die Niederlande, aber auch Schweizer Kantone wie Zürich, Basel oder Thurgau und Schaffhausen errichteten in Davos eigene Höhenkliniken.
Ärzte und Patienten gleichermassen leisteten daraufhin weitere Pionierarbeit: Ein von der Tuberkulose geheilter deutscher Buchbinder gründete die Davoser Zeitung (in welcher er oft Listen der berühmten Sanatorien-Gäste abdruckte, die als perfektes Tuschelthema die Mund-zu-Mund-Propaganda zusätzlich befeuerten). Der deutsche Arzt Alexander Spengler erschuf diverse Kliniken, und der niederländische Seefahrer und Bankier Willem Jan Holsboer, der wegen seiner tuberkulosekranken Frau nach Davos gelangte, blieb auch nach ihrem Tod im Tal und projektierte unter anderem die Bahnstrecke von Chur nach Davos (aus der später die Rhätische Bahn hervorging) sowie das Sanatorium auf der Schatzalp. Von der Schatzalp aus starteten dann bald auch Bob- und Schlittelrennen ins Tal (Stichwort Davoser Schlitten), Davos begann so langsam auch als normale Tourismusdestination zu boomen und eröffnete beispielsweise den ersten Bügelskilift weltweit (1934) sowie die bis heute grösste Natureisbahn Europas.
Trotz all dieser beachtlichen Erfolge und Verdienste für den Bündner und Schweizer Tourismus, so richtig kann ich mich mit dem heutigen Davos nicht anfreunden. So lasse ich es ziemlich bald links liegen, und nehme eine kurze Wanderung unter die Füsse: Ich will nämlich ins Prättigau, doch die nächsten Postautos fahren erst wieder in Klosters. Kein Problem: In der Region gibt es tonnenweise Wanderwege, und auch für die 12 Kilometer nach Kloster mangelt es nicht an Routen. So verlasse ich Davos früh am Morgen gen Osten und umrunde dafür erst einmal den Davoser See. Dieser scheint noch in nächtlicher Stille zu ruhen, keine Welle trübt das tiefblaue Wasser – nur ein einzelner Fischer gleitet in seinem Böötchen elegant an mir vorbei. Die Idylle ist zurück!
Ich passiere den Davoser Ortsteil Wolfgang, der von der einstigen Deutschen Höhenklinik dominiert wird, welche erst kürzlich dem Konkurs nahe war – die Deutschen Krankenkassen entsenden ihre Patienten halt auch immer seltener in die Hochpreisinsel Schweiz. Dann führt der Weg dem Waldrand entlang in den Weiler Laret, wo mich vor allem der Schwarzsee mit seiner namensgebenden, intensiv dunklen Farbe anzieht.
Weiter geht’s nicht dem Hauptweg entlang quer durch den Wald (meine bereits in Episode 39 beschriebene Bärenparanoia wurde durch die Davoser Höhenluft auch nicht kuriert, eher im Gegenteil…), sondern ich folge dem Pfad entlang des Stützbachs, der nie weit von der Hauptstrasse entfernt verläuft. Das lieblich plätschernde Bächlein ist ohnehin ein viel netterer Wegbegleiter, als es tausend Bäume je sein könnten.
Schliesslich erreiche ich Klosters‘ obersten Dorfteil Selfranga. Hier würde ein von Postauto betriebener Ortsbus verkehren, doch den habe ich um ein paar wenige Minuten verpasst, und der nächste fährt erst in einer Stunde. So kommt halt noch eine Viertelstunde Wanderzeit obendrauf, bis ich schliesslich an den Bahnhof Klosters Platz gelange, wo mir das nächste Postauto-Netz offensteht. Und dieses reicht auch ziemlich weit: Bis Bad Ragaz steht keine Wanderung mehr an! Aber das ist der Stoff der nächsten paar Episoden 🙂
Leave a Reply