41: Val Müstair – Ofenpass – Nationalpark – Zernez

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Lesezeit: ca. 10 Minuten

Last euch heute vom Postauto in die prächtige Welt des östlichsten Zipfels der Schweiz entführen: Zuerst durchfahren wir das charmante Val Müstair mit seinen hübschen Dörfchen, daraufhin überqueren wir den Ofenpass und finden uns dann inmitten der monumentalen Naturschönheiten des Schweizer Nationalparks wieder – alles auf einer einzigen Postauto-Strecke!

41: Val Müstair – Ofenpass – Nationalpark – Zernez

 

 

Fahrt-Logbuch:

Linie Von Nach Bus BJ Halter Zeit KM
811 Santa Maria Val Müstair, posta Müstair, Clostra Son Jon Mercedes-Benz O550 Integro 2006 Terretaz SA, Zernez 0:09 3,8
811 Müstair, Clostra Son Jon Mals, Bahnhof Setra S415H 2013 Terretaz SA, Zernez 0:25 12,8
811 Mals, Bahnhof Fuldera, Cumün Setra S415H 2013 Terretaz SA, Zernez 0:42 19,7
832 Fuldera, Cumün Lü, Cumün Mercedes-Benz Sprinter 516CDI 4×4 2011 Bus Val Müstair, Lü 0:12 4,3
832 Lü, Cumün Fuldera, Cumün Mercedes-Benz Sprinter 516CDI 4×4 2011 Bus Val Müstair, Lü 0:12 4,3
811 Fuldera, Cumün Zernez, Bahnhof Setra S415H 2013 Terretaz SA, Zernez 0:51 31,3

 

English Summary:

English Translation - click to view

Welcome to the Val Müstair, or Müstair Valley. Here, separated from Switzerland’s densely populated areas by several valleys and mountain ranges, lies the country’s easternmost village. And thanks to the valley’s isolation, I’m holding high hopes with regard to its charms and natural beauty.

I first start out by visiting the valley’s historic cultural centerpiece, the Benedictine convent of Clostra Son Jon, or St. John’s Abbey. It was founded by no other than Charlemagne in the year 775, and soon after started fuelling the early populating of the region. Today it is recognized by the UNESCO as a World Heritage Site.

From the abbey I first follow the PostBus further eastwards, to the easternmost terminus of its network which lies well within Italian territory again, in the city of Mals in the Tyrol region. From there I turn around and head westwards now with the aim of exploring the whole Müstair valley from one end to the other in order not to miss any of its expected beauty.

The scenery is in fact pretty appealing, even if the valley doesn’t fully live up to my expectations of a land of milk and honey, frequented by abundant unicorns or pretty elves, that its remoteness and isolation conjured in my imagination. Its five villages are pretty picturesque, too, featuring an abundance of the local architecture which relies on massive stone walls combined with intricate ornaments, so-called Sgraffitto.

The transit through the Val Müstair is completed way too soon, but the next highlights are following right away. We first cross over Fuorn Pass (or locally, oven pass), named for the ovens that were installed here in medieval times for ironworks.

Thereafter, we enter yet another land of natural beauty: The (only) National Park of Switzerland: A protected reserve comprising an area of 174 km2 that follows the aim of leaving nature untouched by the human presence, in order to showcase its unspoilt beauty. And while it may well be a sin to just glimpse into the park from the main road that runs through it instead of diving into this wonderland on the 80km of hiking paths, its phenomenal beauty is absolutely striking even from this perspective. With its extensive forests, its wide riverbeds and the craggy limestone peaks towering in the distance, it looks like a pocket-sized Alaska. Definitely a place I can hardly get enough of! It’s a shame that its crossing takes a mere 20 minutes, before we make our way into the town of Zernez, the route’s western terminus.

 

Willkommen im Münstertal, dem Val Müstair. In der letzten Episode hat mich das Postauto nach einer epochalen Fahrt von Tirano über Stilfserjoch und Umbrail im Hauptort des Tals abgeladen, Santa Maria. Natürlich lasse ich mir, wenn ich schon mal hier bin, die Chance nicht entgehen, diesen östlichsten Zipfel der Schweiz noch genauer unter die Lupe zu nehmen. Statt also von Santa Maria direkt westwärts nach Zernez und in Richtung Heimat zu fahren, besteige ich erst das Postauto in Richtung Osten, bis zum letzten Ort im Tal – Müstair Dorf, wo ich noch kurz durch den Dorfkern wandere und die paar hübsch hergerichteten Steinhäuser begutachte, bevor ich gleich gegenüber des antiken Klosters die Nacht verbringe.

 

Im Dorfkern von Müstair
Im Dorfkern von Müstair

 

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Das typische grosse Eingangsportal: Da früher im Engadin Wohnhaus und Stall kombiniert waren, musste dieses gross genug sein, um mit dem Wagen Stroh ins Haus zu bringen.
Das typische grosse Eingangsportal: Da früher im Engadin und Müstair Wohnhaus und Stall kombiniert waren, musste dieses gross genug sein, um mit dem Wagen Stroh ins Haus zu bringen.

 

Abends in Müstair - die Postautos fahren noch immer
Abends in Müstair – die Postautos fahren noch immer

 

Noch lange nicht Feierabend: Halt vor dem Clostra Son Jon in Müstair (GR)
Noch lange nicht Feierabend! Postauto vor dem Clostra Son Jon

 

Das Kloster gründete übrigens nicht irgendjemand, sondern Karl der Grosse himself. Der war der Legende nach zusammen mit seiner Frau gerade auf dem Heimweg von seiner neusten Eroberung, der Lombardei, als er im Münstertal in einen schlimmen Schneesturm geriet. Völlig verzweifelt und verängstigt begann der grosse Herrscher zu beten, und gelobte, dass er an der nächsten bebaubaren Stelle ein Kloster und eine Kirche für die heilige Maria errichten würde, falls sie es heil aus dem Sturm schafften. Dies war tatsächlich der Fall – und so gründete er um das Jahr 775 das Kloster in Müstair, und seine Frau legte den Grundstein zur Kapelle in (eben) Santa Maria.

 

Clostra Son Jon in Müstair
Clostra Son Jon in Müstair

 

Der Bau des Klosters sollte fortan die Geschichte des Tals entscheidend prägen. Es war nämlich an einer derart geschickten Stelle errichtet worden, dass es nicht nur einfach als Ort des Glaubens diente. Vielmehr sicherte es dem Kaiser sowie dem Bischof von Chur den Einfluss in dieser Region, diente ihnen als regionales Verwaltungszentrum und gleichzeitig zur Kontrolle der diversen Verkehrswege, die sich hier kreuzten. Aber auch Reisende schätzten es, da es im wilden und abgelegenen Tal in etwa die einzige Unterkunft darstellte. Dies wiederum lockte auch andere Menschen hierher, die in Müstair sesshaft wurden um Kloster und Reisenden zuzudienen, und bald entstand rund um das einst einsame Gotteshaus ein florierendes Dorfleben mitsamt einem überregional bekannten Markt.

 

Clostra Son Jon, das in Teilen immernoch aus dem 8. bzw. 10. Jahrhundert stammt
Clostra Son Jon, das in Teilen noch aus dem 8. bzw. 10. Jahrhundert stammt

 

Von hier fährt das Postauto sogar noch weiter ostwärts, in die Ortschaften Glurns und Mals im Südtirol. Natürlich habe ich diese Runde auch mitgemacht, und die zwei Städtchen wären auch durchaus recht adrett. Allerdings kam mein kurzer Aufenthalt auf einen kalten und bewölkten Herbstmorgen um 07:20 Uhr zu liegen, an welchem weder die Ortschaften ihren vollen Glanz zu versprühen noch mein Biorythmus diesen wirklich aufzunehmen vermochten. Und da die heutige Episode eh schon Überlänge hat, lasse ich die fremden Territorien frech beiseite und belasse es bei drei Impressiönchen:

 

Frühmorgendliche Schrecksekunde: Fahrt durchs schmale Stadttor von Glurns. Ja, das Postauto passt wirklich durch!
Wir fahren mitten durch die mittelalterliche Glurnser Innenstadt
Mals (I) - die Stadt der Türme; Endstation der Postauto-Linie 811 von Zernez durch Nationalpark und Val Müstair
Die Skyline von Mals, dominiert von der Kirche Maria Himmelfahrt, Bergfried der Burg Fröhlichsburg, und Turm der Kirche St. Benedikt – alle aus dem 12. und 13. Jahrhundert

 

Nun freue ich mich nämlich auf mein eigentliches Hauptziel: Das Val Müstair, welches die Postautolinie 811 auf seiner ganzen Länge durchfährt. 1h 35min sind für die 52 Kilometer bis nach Zernez budgetiert. Von dort stammen übrigens auch sämtliche die Route befahrenden Postautos: Sie gehören zum Fuhrpark der Terretaz SA. Dagegen ist die hier beheimatete Bus Val Müstair GmbH, die ich in der letzten Episode portraitiert habe, nur mit der Stilfserjoch-Umbrail-Strecke sowie einer kurzen Seitenlinie ins Bergdorf Lü betraut (weshalb auch immer, ich Zürcher blicke da eh nicht durch, ich tue mich ja schon mit der Aussprache der Ortsnamen schwer).

Den Ort Müstair habe ich ja schon gezeigt, als nächstes erreichen wir wieder Santa Maria – auch dieses habe ich ja schon beleuchtet. Die von Karls Frau gestiftete Kirche gibt’s zwar nicht mehr, dafür ist das Dorf selbst in Form eines Kreuzes angelegt (was aber auch nur Zufall sein kann, schliesslich liegt es ja an der Wegkreuzung mit der Umbrail-Passstrasse).

 

Eng und klein: Mitten in der engen Ortsdurchfahrt von Santa Maria steht die offiziell kleinste Bar der Welt!
Eng und klein hoch zwei: Mitten in der schmalen Ortsdurchfahrt von Santa Maria steht die offiziell kleinste Bar der Welt!

 

Santa Marias Zentrum befindet sich langgestreckt entlang der Hauptstrasse
Santa Marias Zentrum befindet sich langgestreckt entlang der Hauptstrasse
Prächtig, der Blick auf Santa Maria
Prächtig, der Blick auf Santa Maria

 

Zwei Kilometer weiter westlich erreichen wir das Örtchen Valchava, Heimat von rund 200 Einwohnern. Im Dorfkern begrüsst mich wiederum eine solide Häuserzeile im historischen Engadiner Baustil, die Mauern teils lieblich verziert, teils schlicht, aber immer wuchtig und dick mit tiefen Fensterfluchten zum Schutz vor der winterlichen Kälte. Etwas auf die Spitze getrieben wurde die Fassadendekoration beim Hotel Central – die Malereien stammen aber nicht wie das stolze Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert, sondern wurden erst vor wenigen Jahren von einheimischen Malern angefertigt.

 

Valchava mit seiner spätgotischen Kirche
Valchava mit seiner spätgotischen Kirche

 

Prächtig verziert: Das Hotel Central
Prächtig verziert: Das Hotel Central
Schmucke Häuserzeile in Valchava
Schmucke Häuserzeile in Valchava

 

Von Valchava aus geht’s nur drei Minuten übers Land, schon erreichen wir Fuldera. Die Ortsbezeichnung geht auf das lateinische «fundaria» zurück, was Schmelzofen bedeutet – ich komme später darauf zurück. Ansonsten findet sich hier architektonisch mehr vom gleichen, dazu ein kleiner Supermarkt – sowie eine kurze Postauto-Seitenlinie. Und die muss ich natürlich ausprobieren!

Blick zurück, mit der Ortlergruppe im Hintergrund
Blick zurück, mit der Ortlergruppe im Hintergrund

 

 

Fulderas Hauptstrasse - dank Umfahrungsstrasse schön ruhig!
Fulderas Dorfkern – dank Umfahrungsstrasse schön ruhig!

 

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Einige Male am Tag fährt von hier ein gelber Bus hinauf in die Ortschaft Lü, die etwas am Hang oberhalb Fulderas liegt – die zweite Linie der Bus Val Müstair GmbH, die ich alleine schon aufgrund des hervorragenden Chauffeurs auf der Stilfserjoch-Route in mein Herz geschlossen habe. Im Kontrast zur epochalen Route der vorhergehenden Etappe überwindet Kurs 832 nach Lü aber gerademal 500 Meter Luftlinie. Nur dank einiger Serpentinen (okay, um ehrlich zu sein, genau drei) werden daraus doch immerhin 4,3 Kilometer Wegstrecke und 12 Minuten Fahrzeit.

Oben dann, im 60-Einwohner-Dorf, geniesst man eine wunderprächtige Aussicht auf die umliegenden Bergketten. Das ist auch kein Wunder, immerhin liegt Lü auf 1’920 Metern über Meer. Dies machte Lü, das wohl schon den Rekord für den kürzesten Dorfnamen halten dürfte, sogar zur höchsten politischen Gemeinde der Schweiz – bis zu jener Abstimmung, als man sich für die Fusion mit allen anderen Gemeinden des Tals zur Einheitsgemeinde Val Müstair aussprach. Das Unterfangen gelang aber erst im zweiten Anlauf, mit etwas sanftem Nachdruck durch die anderen Gemeinden. Diese hatten das Anliegen allesamt schon beim ersten Termin befürwortet – nur eben die Luftikusse aus Lü, die scherten aus.

 

Auf exponierter Strasse geht's hoch nach Lü...
Auf exponierter Strasse geht’s hoch nach Lü…
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Idyllisch gelegen: Lü auf einer Sonnenterrasse über dem Val Müstair
Idyllisch gelegen: Lü auf einer Sonnenterrasse über dem Val Müstair

 

Ohnehin scheinen sie in Lü an Abstimmungen ihre wahre Freude zu haben: So machten sie auch im Jahr 1992 von sich reden, als sie bei der EWR-Abstimmung als einzige Gemeinde zu hundert Prozent ein Nein in die Urne legten. Was ihnen ein grosses Lob und mehrere Besuche von SVP-Übervater Christoph Blocher einbrachte, der diesem erfreulichen Mysterium auf den Grund gehen wollte. Blocher wurde daraufhin sogar zum Ehrenbürger ernannt, und zeigt sich nun wiederum erkenntlich, indem er jedem Einwohner zu Weihnachten einen Jahreskalender mit Bildern seines geliebten Malers Albert Anker zukommen lässt. Doch nicht nur aus Herrliberg, gar aus den USA kam frischer Wind ins Dorf: Ein Professorenpaar aus Iowa fand in Lü, das aufgrund seiner abgeschiedenen und erhöhten Lage kaum Luft- und Lichtverschmutzung aufweist, perfekte Bedingungen für Astrofotografie vor – und eröffnete daraufhin im Ort ein Zentrum für die Sternenguckerei. Ganz so weit weg richte ich meine Linse nicht – aber auch die stattlichen Bauerhäuser, die sich der schmalen Dorfstrasse entlang aneinander schmiegen, wissen zu gefallen!

 

Spaziergang durch Lü...
Spaziergang durch Lü…
Wild verziertes Haus von 1587
Wild verziertes Haus von 1587

 

In Lü ist auch der Postautobetrieb Val Müstair zuhause
In Lü ist auch der Postautobetrieb Val Müstair zuhause
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Die reformierte Kirche von Lü geniesst eine prächtige Aussicht
Die reformierte Kirche von Lü geniesst eine prächtige Aussicht

 

Zurück in Fuldera geht’s weiter mit der Durchquerung des Münstertals mit dem nächsten Postauto der Linie 811, einem weiteren (zu) modernen Setra S415H. Die Hauptstrasse führt ein Stück dem Waldrand entlang, dann passieren wir das Dorf Tschierv – das nach zweimal Blinzeln schon vorbei ist, denn der wahrhaftige Dorfkern befindet sich fernab der Strasse.

 

Tschierv (im Hintergrund), davor die reformierte Kirche des Dorfes, erbaut 1470
Tschierv (im Hintergrund), davor die reformierte Kirche des Dorfes, erbaut 1470
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Und dann, tja ähh dann, ist das Münstertal schon durchquert! Ungläubig schaue ich auf die Karte, doch wahrhaftig – mehr kommt da nicht. «Und das war alles?», stellt sich ein Gefühl leichten Zweifelns ein. Ich bin doch etwas unterwältigt. Daheim im fernen Zürich hatte ich mir vorgestellt, dass das abgeschiedene und gar von der UNESCO als Biosphärenreservat gehuldigte Tal (was auch immer das ist, aber es klingt gut…) hinter den sieben Bergen so total anders sein müsse als der Rest des Landes, dass es mich mit seiner natürlichen Pracht, seiner verträumten Magie und seiner zelebrierten Abgeschiedenheit bestimmt beeindrucken und aus den Socken hauen würde. Doch nichts dergleichen war geschehen. Stattdessen hatte ich das Tal binnen einer guten halben Stunde durchquert, mich – wie überall sonst im Land – auf einer Schnellstrasse von Dorf zu Dorf gehangelt, und nur wenige Eindrücke waren hängengeblieben.

 

Sehenswertes landschaftliches Intermezzo
Sehenswertes landschaftliches Intermezzo

 

Vielleicht liegt es daran, dass sich das Müstair seit jeher einem sanften Tourismus gewidmet hat, und ich eher ein Mann fürs Grobe bin? Gewiss, die schön herausgeputzten historischen Häuser in den Dorfkernen waren hübsch – aber ein paar mehr hätten es auch sein dürfen. Auch die Landschaften waren nett – aber irgendwie auch nichts, was man sonst nirgendwo findet. Ich nahm sogar extra ein paar Wochen später die lange und beschwerliche Anreise aus der Grossstadt erneut auf mich, um dem Müstair eine zweite Chance zu geben, weil ich es so unbedingt lieben wollte – doch gelangte ich zum gleichen leicht ernüchternden Fazit.

Vielleicht bin ich im Zuge der Reise zu fest abgestumpft? Möglich. Doch wahrscheinlich waren schlicht meine Erwartungen zu hoch: Ich hatte in meinen Vorstellungen das Münstertal ja fast schon mit dem Goldtopf am Ende des Regenbogens gleichgesetzt. Ein Ort an dem Milch und Honig fliesst, wo ich Herden arielweisser Einhörner durch rosaroten Glitzerstaub galoppieren zu sehen hoffte, und mich freute, mich von einem Chor lieblich singender Elfen in den Schlaf lullen zu lassen. Ein völlig verklärtes Bild ganz offensichtlich! Doch wer weiss: Vielleicht offenbart das Val Müstair seine wahren Schätze halt nicht demjenigen, der es mit dem Postauto auf der Hauptstrasse durchquert – sondern demjenigen, der sich die Zeit nimmt, dem lieblichen Flüsschen Rom entlang zu wandern, oder einen der aussichtsreichen Höhenwege zu bestreiten. Ich werde dem Val Müstair diese Chancen bestimmt geben, vielleicht klappt es ja doch noch mit der Liebe auf den dritten Blick! Selbst wenn ich keine Elfen zu Gesicht bekommen sollte – aber vielleicht wenigstens einen klitzekleinen süssen Troll?

 

Blick zurück auf Fulderas Dorfteil Turettas
Abschied vom Val Müstair: Blick zurück auf Fulderas Dorfteil Turettas

 

Doch fertig gehadert, die Fahrt ist ja noch nicht fertig. Gleich hinter Tschierv warten ein paar Haarnadeln – und Haarnadeln sind immer gut, um die Stimmung aufzubessern! Sie gehören zum Ofenpass, welcher das Müstair vom Rest der Welt trennt. Nur das mit dem Ofen glaube ich nicht so recht – an diesem Herbstmorgen ist die Landschaft nahe der Passhöhe nämlich sogar von einer dünnen Schneeschicht überzuckert!

 

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Willkommen im Winter!
Willkommen im Winter!

 

Der Pass dal Fuorn, wie er auf Rätoromanisch heisst, hat seinen Namen übrigens nicht, weil er so infernalisch schlimm wäre wie der Ofen des Teufels – da ist abermals meine Fantasie mit mir durchgegangen. Vielmehr wurde hier einst in Bergwerken mit gesamthaft bis zu 14 Kilometer langen Stollen Eisenerz abgebaut, und in der Nähe (eben zum Beispiel in Fuldera, man erinnere sich) in Hochöfen geschmolzen. Es dauerte aber nicht allzu lange, da waren die Eisenerzvorkommen erschöpft. So begann man, das Eisenerz aus dem entfernten Bormio heranzukarren, weil die ausgedehnten Wälder am Ofenpass wenigstens noch genügend Brennholz für die Öfen bereithielten – alle anderen Wälder waren offensichtlich schon geplündert gewesen. Eine wahrhaftig nachhaltige Tätigkeit, momoll!

 

Etwas später am gleichen Tag, der sonnige Herbst ist zurück :-)
Etwas später am gleichen Tag, der sonnige Herbst ist zurück 🙂

 

Passhöhe erreicht!
Passhöhe erreicht!

 

Das mit der Nachhaltigkeit ist aber ein perfektes Stichwort für das, was nun folgt: Die Durchfahrt des (einzigen) Schweizer Nationalparks, dem ältesten Nationalpark der Alpen (Gründung 1914). Die Institution hat zum Ziel, im Sinne eines umfassenden Naturschutzes die Natur völlig sich selbst zu überlassen, ohne menschliche Eingriffe – nur auf den 80 Kilometer Wanderwegen ist der Mensch geduldet. Er fungiert so nur als Beobachter, und kann den Park für Forschung, Information und das Heranführen der Menschen an den gelebten Naturschutz nutzen.

 

Auf sehenswerten Pfaden geht's weiter in Richtung Nationalpark
Auf sehenswerten Pfaden geht’s weiter in Richtung Nationalpark

 

Im Nationalpark unterwegs - schöner geht's kaum!
Im Nationalpark unterwegs – schöner geht’s kaum!

 

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Was in der Theorie edel klingt, hat natürlich in der Praxis einige Tücken. Wieso dieses geplante Paradestück intakter Natur genau dort projektiert werden musste, wo die Rodungen zur Eisen- und Kalkbrennerei unzählige kahle Waldstücke, Minen und einige nicht ganz so naturnahe Hochöfen hinterlassen haben, ist mir ein Rätsel. Das wäre, als würde man sich auf einen Schönheitswettbewerb von Schmetterlingen dadurch vorbereiten, dass man eine von etlichen Narben gezeichnete Raupe auswählt und hofft, dass sie sich trotzdem prächtig entwickle. Der Park ist aber auch Opfer seines eigenen Erfolges geworden: Mittlerweile sind die Besucherzahlen derart explodiert (auch das Postauto fährt fleissig Extrakurse…), dass sich die einst zutraulichen Wildtiere vom Menschen immer mehr gestört fühlen, und sich in die hintersten Winkel des Gebiets zurückziehen.

 

Mit dem Postauto direkt in den Park - perfekt!
Mit dem Postauto direkt in den Park – perfekt!
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Sieht schon etwas aus wie in Kanada oder Alaska!
Sieht schon etwas aus wie in Kanada oder Alaska!

 

 

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Bei all dieser Kritik: Natürlich ist es grossartig, einen Nationalpark im eigenen Land zu haben. Grossartig, ja anmutig gar ist auch, was ich von der Ofenpassstrasse von ihm zu sehen bekomme: Die endlos scheinenden Kiefernwälder vermitteln den Eindruck unendlicher Abgeschiedenheit. Kraftvoll und dicht wuchern sie die Bergflanken empor, wobei die kahlen Spitzen der Kalkstein-Erhebungen wie graue Kronen aus dem dunkelgrünen Meer ragen.

Immer wieder überqueren wir weitläufige Bachbette von Gewässern, die irgendwo in der Höhe entspringen und ihre Wasser dem ewigen Kreislauf folgend ins Tal befördern. Während es momentan Ende Sommer nur Rinnsale sind, lassen die monströsen Flussläufe erahnen, welch gewaltige Kraft das Wasser bei Schneeschmelzen und Starkregen haben muss. All diese Flüsschen speisen die Ova Fuorn, welche mal lieblich, mal reissend, in weiten Teilen unbeirrt durchs Tal mäandriert. Was für ein erhabener Anblick, und welch ein Privileg, von der Strasse aus einen kleinen Einblick in diese Intimzone der Natur zu haben. Wie ein Alaska im Westentaschenformat, von dem man sich wünscht, es möge nie mehr aufhören.

 

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Das Gasthaus "Il Fuorn" gibt's seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Diente es erst den Bergarbeitern als Basis, beherbergte es danach oft Reisende, Säumer und Schmuggler - und mittlerweile die zahlreichen Touristen im Park.
Das Gasthaus “Il Fuorn” gibt’s seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Diente es erst den Bergarbeitern als Basis, beherbergte es danach oft Reisende, Säumer und Schmuggler – und mittlerweile die zahlreichen Touristen im Park.

 

Lieblich plätschert die Ova dal Fuorn durch den Park
Lieblich plätschert die Ova dal Fuorn durch den Park

 

Die wilde Seite der Schweiz!
Die wilde Seite der Schweiz…

 

...und das Postauto mittendrin!
…und das Postauto mittendrin!

 

Das mit dem “nie mehr aufhören” bleibt natürlich ein frommer Wunsch: Knappe 20 Minuten dauert die Durchquerung des Parks, der hier etwa zwölf Kilometer in der Breite misst. Und kaum ist er zu Ende, ist es das auch mit der Strecke der Postauto-Route 811 gewesen: Mein Setra trifft anderthalb Stunden nach der Abfahrt in Mals in der unterengadiner Gemeinde Zernez ein – dem Tor zum Flüelapass und damit zur Aussenwelt. Doch das, das ist der Stoff für die nächste Episode.

 

Ankunft in Zernez - mit dem wuchtigen Schloss Planta-Wildenberg aus dem 13. Jahrhundert, und der reformierten Kirche aus dem 17. Jahrhundert
Ankunft in Zernez, mit dem wuchtigen Schloss Planta-Wildenberg aus dem 13. Jahrhundert, und der reformierten Kirche aus dem 17. Jahrhundert

2 Responses

  1. SILVIA BOOS
    | Reply

    Wunderbare Berichte und Fotos, habe jeden sehr genossen. Bin im Moment in Isolation und freue mich die weiteren Berichte und Fotos in aller Ruhe mit viel Zeit zu geniessen, Hut ab da steckt soviel Arbeit drin. Herzlichen Dank für diese Leckerbissen bezüglich Text und Fotos

    • Tis
      | Reply

      Grüezi Frau Boos
      Vielen herzlichen Dank für Ihre lieben Worte! Es freut mich sehr, dass ich Ihnen mit meiner “Tour de Suisse” Ihre Isolationszeit etwas versüssen und sie zumindest virtuell rund um die Schweiz führen kann. Weiterhin viel Spass bei der Lektüre!

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